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Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Titel: Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Konrad
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den Nachnamen seiner Frau annimmt. Frank hängt nicht an seinem Nachnamen, und er freut sich darauf, durch den gemeinsamen Namen auch nach außen mit seiner neuen Familie eine Einheit zu bilden.
    Dann kommt der Abend, an dem das Paar den Eltern von Frank die bevorstehende Hochzeit und die Namenswahl mitteilt und an dem aus Freude Entsetzen wird. Herr Förster senior verlässt entrüstet den Abendbrottisch und zieht sich in sein Arbeitszimmer zurück. Er fühlt sich hintergangen, ist sprachlos über diese Respektlosigkeit, die noch dazu jede Tradition verhöhnt, an die er glaubt. So hat er seinen Sohn nicht erzogen. Frank folgt ihm und versucht, seine Entscheidung zu erklären. Herr Förster senior bleibt uneinsichtig. »Unser Name hat Gewicht! Und was ist mit meinem Enkelkind, es wird dann auch nicht unseren Namen tragen. Du lässt unseren Familiennamen aussterben!«, wirft er seinem Sohn vor. Dieser hat seinen Vater selten so wütend und enttäuscht gesehen. Die Schwiegertochter kommt hinzu und will vermitteln, aber Herr Förster senior unterbricht sie aufgebracht: »Da gibt es nichts zu diskutieren! So macht man das nicht. Nicht in unserer Familie und auch nicht in anderen guten Familien.«
    Verena ist beleidigt: »Willst du damit sagen, dass ich nicht aus einer guten Familie komme?« – »Darum geht es nicht. Es geht um die Tradition! Unser Stammbaum lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen«, argumentiert der Schwiegervater in spe schließlich, das letzte Ass aus dem Ärmel ziehend. – »Ach so, na dann sollte es dich beruhigen, dass dein Sohn in eine Familie einheiratet, deren Stammbaum sogar bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Mein Opa kann dir Einsicht in die Unterlagen geben!« Mit Verenas Kontra löst sich der Abend auf, und alle Beteiligten fühlen sich unverstanden und gekränkt. Frank trifft es am härtesten – er ist im Loyalitätskonflikt. Er hatte die Reaktion seines Vaters unterschätzt, nicht geahnt, dass der Namenswechsel diesen so treffen würde. Nun wird die pragmatische Entscheidung, den Namen seiner Frau anzunehmen, eine emotionale Entscheidung, die ihn schier zerreißt und die bevorstehende Hochzeit überschattet.
    Die Namensfrage bei Eheschließungen war in Deutschland bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts gesetzlich geregelt: Die Frauen nahmen den Namen des Mannes an. Diese Regelung wurde 1976 für verfassungswidrig erklärt, und fortan durfte jedes Paar wählen, ob es seinen oder ihren Namen als Familiennamen tragen wollte. Diese Gesetzesänderung zeigt, dass auch jahrhundertealte gesellschaftliche Traditionen irgendwann Wandlungen unterworfen sind, und zwar glücklicherweise, denn sonst dürften Frauen heute nicht wählen und Auto fahren, uneheliche Kinder wären nach wie vor nicht erbberechtigt, Homosexualität würde immer noch als Krankheit gesehen, chinesischen Mädchen würden weiterhin die Füße zu Lotosfüßen verkrüppelt werden, und es würden nicht weltweite Kampagnen gegen die Unmenschlichkeit von weiblicher Genitalverstümmelung kämpfen, von der über 130 Millionen Frauen weltweit betroffen sind und die im Namen der Tradition noch vielerorts durchgeführt wird.
    Eine Tradition sollte nicht um ihrer selbst willen geachtet und beibehalten werden. Der Wert einer Tradition bestimmt sich durch ihre aktuelle Angemessenheit, ihren aktuellen Sinn, ihre Hinterfragbarkeit und Anpassungsfähigkeit, oder wie Gustav Mahler sagte: »Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche.«
    In Frank Försters Familie ist die patriarchalische Namenstradition nicht hinterfragbar. Herr Förster senior ist nicht aufgeschlossen gegenüber den Argumenten seines Sohnes, dass es für dessen neu gegründete Familie sinnvoller wäre, den Namen seiner zukünftigen Frau als Familiennamen zu bestimmen, damit alle, auch ihr erstgeborener Sohn Max, einen Namen haben. So bringt er seinen Sohn in einen Loyalitätskonflikt zwischen alter und neuer Familie. Und da bleibt Herr Förster junior auch, denn egal, wie er sich entscheidet, er wird es nicht allen recht machen können.
    Das Ganze endet in einem Kompromiss. Das Paar heiratet, und beide behalten ihren Namen. Das neugeborene Kind bekommt den Familiennamen der Mutter. Somit heißen alle Schmidt, außer Frank. Dieser bleibt bei seinem ursprünglichen Namen. Und er bleibt seiner Ursprungsfamilie treu. Zufrieden ist mit dieser Lösung keiner. Verena ist enttäuscht, dass ihr Mann sich nicht an die ursprüngliche Namenslösung

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