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Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Titel: Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Konrad
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Geschlechter sind, sind wir auch die Resultate
ihrer Verirrungen, Leidenschaften und Irrtümer,
ja Verbrechen; es ist nicht möglich, sich ganz von dieser Kette zu lösen. Wenn wir jene Verirrungen verurteilen und uns ihrer für enthoben erachten, so ist die Tatsache nicht beseitigt, dass wir aus ihnen herstammen.«
    FRIEDRICH NIETZSCHE , Unzeitgemäße Betrachtungen
    Die Schuld an den Verbrechen des Holocaust wurde lange Zeit nicht anerkannt, in manchen Familien bis heute nicht. Die halbherzigen »Entnazifizierungs«-Versuche und die in Amt und Würden verbliebenen Altnazis verdeutlichen den deutschen »Wunsch nach einem Strich darunter« (Adorno, Schuld und Abwehr ). Die Kinder berühmter Nazis haben es schwerer mit dem Ausblenden, sie können die Vergangenheit weder abstreifen noch mythisieren, zu deutlich, zu bekannt, zu unwiderlegbar sind die Verbrechen ihrer Väter. Das Dilemma entsteht für sie durch die doppelte Bedeutung des Vaters – der einerseits vielleicht ein liebevoller Vater, andererseits ein Verbrecher gegen die Menschlichkeit, ein Massenmörder war. Diese zwei Bilder lassen sich kaum miteinander vereinbaren, zu stark sind der Kontrast und nicht zuletzt die Loyalität und die Zuneigung der Kinder ihren Vätern gegenüber. Trotzdem gibt es keinen Zweifel an der Schuld der Täter – eine kaum zu bewältigende emotionale Gratwanderung für die Kinder. Um mit dieser existenziellen Widersprüchlichkeit leben zu können, liegt es nahe, den Vater entweder schwarz oder weiß zu malen.
    Man kann die Schuld der Väter bagatellisieren oder leugnen, so wie der Sohn von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, die Tochter von Heinrich Himmler oder die Töchter des SA-Obergruppenführers Hanns Ludin, der 1947 wegen seiner Kriegsverbrechen verurteilt und hingerichtet wurde.
    In der TV-Dokumentation 2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß (Arte 2005) befragt Ludins jüngster Sohn Malte seine älteren Schwestern zu ihrem Verhältnis zum Vater. Die drei Schwestern sind sich einig – der Vater habe nichts von der Judenverfolgung gewusst, sei also nicht schuldig. Beweise für sein Wissen und seine Schuld werden abgetan, nur Malte, der seinen Vater nicht mehr kennenlernte, versucht, den Weg des Vaters realistisch nachzuzeichnen und den Schwestern die väterlichen Verbrechen zu beweisen. Den Gefühlen von Schuld und Scham stellt sich in Familie Ludin nur der jüngste Sohn Malte und benennt gleichzeitig den Konflikt in seinem Inneren und die Hoffnung, irgendwann doch noch etwas Gutes über den Vater zu erfahren. Seine Schwestern meinen, bereits alles zu wissen – ihr Glaube an das Gute im Vater ist unerschütterlich.
    Die eindimensionale, idealisierende Betrachtung des Vaters führt schlimmstenfalls zu einer Fortsetzung der väterlichen, also nationalsozialistischen Ideologie. Wolf-Rüdiger Heß kämpfte zeit seines Lebens für die Freilassung und Rehabilitierung seines Vaters. Gudrun Himmler ist gemeinsam mit ihrem Mann bis heute in der Neonaziszene aktiv und unterstützt seit 1951 inhaftierte, verurteilte oder flüchtige ehemalige SS-Mitglieder. Das nationalsozialistische Erbe der Väter setzt sich unreflektiert fort.
    Eine andere Art der Auseinandersetzung mit den Taten der Väter – und wahrscheinlich der einzige Weg, Mythenbildung und Geheimniskrämerei zu entsagen – liegt in der rigorosen Ablehnung der Eltern, in der Entscheidung, den Vater ausschließlich als Täter wahrzunehmen und ihn somit ganz und gar zu verurteilen. Der deutsche Journalist Niklas Frank, dessen Vater Hans Frank als Generalgouverneur von Polen die Massenvernichtung von Juden und Polen zugelassen hatte, als »Schlächter von Polen« in die Geschichte einging und deswegen 1946 in Nürnberg hingerichtet wurde, geht diesen extremen Weg: Er rechnet öffentlich mit seinem Vater und dessen Taten ab und sucht die größtmögliche Distanz zu beiden Eltern, die ihm aufgrund ihrer bewiesenen Verbrechen im Nationalsozialismus keinerlei Identifikationsfläche bieten. Der mittlerweile über 70-jährige Niklas Frank wird häufig von Schulen eingeladen. Dort liest er aus seinen Büchern »gegen« die Eltern, er richtet sie verbal hin, wieder und wieder, Satz für Satz. Die familiäre Loyalität ist in Franks Familie verspielt worden, zu sehr entsetzen den Sohn die Verbrechen der Eltern. Die einzig mögliche, die einzig richtige Entscheidung heißt für Niklas Frank, die Schuld seiner Eltern nicht zu verkleinern, sondern sie klar herauszustellen, ungeschönt,

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