Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
Zwangsarbeiter in den familiären Unternehmen starben. Die Worte, die Stefan Quandt wählt, versuchen die grausamen Bedingungen für die Zwangsarbeiter und den Mord an ihnen zu versachlichen:
»Die Ernährungsbedingungen waren schlecht, der Arbeitsschutz war unzureichend. Es ist sehr traurig, aber wahr, dass Zwangsarbeiter in den Quandt’schen Unternehmen das Ende des Krieges nicht erlebt haben.«
Das Ende des Krieges nicht erlebt zu haben hört sich besser an, als im Arbeitslager ermordet worden zu sein. Immer wieder flüchtet Stefan Quandt sich in Phrasen und Bagatellisierungen. Es erleichtert, dass Gabriele Quandt an dieser Stelle des Interviews emotionale Beteiligung zeigt und die Tatsachen und die familiäre Verantwortung nicht wie ihr Cousin von sich fernhält:
»Und viele haben Schäden davongetragen, die sie für den Rest ihres Lebens sehr belastet haben. Natürlich fühlt man sich grauenvoll, wenn man das sieht und hört und es sich vorstellt. Man schämt sich.«
Gabriela Quandt stellt sich den Fragen der Interviewer direkter, sie wirkt ehrlicher in ihrer Auseinandersetzung, bezieht im Vergleich zu ihrem Cousin klarer Stellung zu den Verbrechen ihres Großvaters. Ihren Vater zeichnet sie jedoch weicher und fokussiert die Erinnerung an ihn auf den guten Vater und das Opfer:
»Ich habe ihn auch später nicht als Repräsentanten der Nazizeit gesehen, sondern eher als ein Opfer, dessen Mutter seine Geschwister und sich selbst umgebracht hat und der darunter gelitten hat. Das haben wir Kinder schon gespürt.«
In der Familie Quandt wurde nach dem Krieg mit den Kindern nicht über die NS-Zeit und die familiären Verwicklungen gesprochen, Fragen wurde ausgewichen, es wurde lieber geschwiegen. Nichts fühlen, nichts fragen, nicht nachdenken – Realität in vielen deutschen Nachkriegsfamilien, »weil nicht sein kann, was nicht sein darf«. Auch die Art und Weise, wie die Quandt-Erben mit der Vergangenheit umgehen, unterscheidet sich in nichts von derjenigen unbekannter Täterfamilien. Eigentlich will niemand so richtig wissen, wie es wirklich war. Es gibt die, die nach einem Schlussstrich und dem Vergessen rufen. Es gibt die, die leugnen. Es gibt die, die bagatellisieren. Es gibt die, die unter der Vergangenheit leiden, weil sie das Bild ihres Vaters und Großvaters revidieren müssen. Es gibt die, die unter der Vergangenheit leiden, weil sie sich schämen für das, was ihre Vorfahren verbrochen haben.
Die Quandts sind aus emotionaler Sicht eine ganz normale deutsche Familie, die sich mit der Frage der familiären Schuld auseinandersetzt. Auch sie haben sich ihre Familie nicht ausgesucht, sie wurden sowohl in den Reichtum als auch in die Schuld hineingeboren. Sowenig die Rehabilitierung der Ahnen möglich ist, so wenig ist eine vollständige emotionale Entlastung der Nachkommen möglich. Niemand kann aus seiner Haut, niemand kann aus seiner Familie, niemand kann die Vergangenheit ändern, oder wie Gabriele Quandt bedauernd feststellt:
»Es tut weh. Günther Quandt ist unser Großvater. Aber wir hätten gerne einen anderen gehabt. Besser gesagt: Wir hätten ihn gerne anders gehabt.«
Das Ende der Schuld – Wenn Kinder versuchen, das Unrecht ihrer Vorfahren »wiedergutzumachen«
»Sein ganzes Leben war so angelegt,
dass es das Leben seines Vaters korrigierte.«
JONATHAN FRANZEN , Die Korrekturen
Die innerfamiliäre Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus ist ein Lehrstück für den transgenerationalen Umgang mit Schuld. In den meisten deutschen Familien gelingt die Abwehr der Schuldgefühle, mündet aber in Tabus, schambesetzten Geheimnissen und einem generellen Gebot des Nichtfühlens. Unbewusste Loyalität und Scham verbieten es auch den Nachkommen oft, einen klaren Blick in die Vergangenheit zu werfen und zu benennen, was offensichtlich falsch war, aber niemand wahrhaben möchte. Also beugen sich Kinder und Kindeskinder dem familiären Diktat des Schweigens, werden unversehens zu Komplizen der ehemaligen Täter und tragen dazu bei, schädliche Werte und Überzeugungen über Generationen hinweg zu konservieren.
Aber es gibt auch Familien, in denen die Abwehr an irgendeiner Stelle brüchig wird, in denen mindestens ein Familienmitglied etwas übernimmt, mit dem die anderen nichts zu tun haben wollen, und etwas fühlt, was die anderen nicht fühlen wollen.
Meist gelingt diese kritische Auseinandersetzung denjenigen, die emotional distanzierter waren: den Kindern oder Enkelkindern,
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