Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
folgenden Generationen.
Wolf-Rüdiger Heß, Gudrun Himmler und Niklas Frank teilen das Schicksal, Kinder von prominenten Nazitätern zu sein. Obwohl ihre Auseinandersetzung mit den Eltern konträr anmutet, beruht sie auf dem gleichen Prinzip: Wenn die offizielle und öffentliche Beweislast hinsichtlich der elterlichen Schuld erdrückend ist, müssen Kinder offensichtlich sowohl Anteile des Täters als auch Anteile ihrer Gefühle abspalten. Meist mündet diese Abspaltung in ein Schwarz-Weiß-Denken, der Vater ist entweder absolut gut oder absolut schlecht. Wenn er absolut gut ist, muss ich seine Taten verneinen oder aber gutheißen. Wenn er absolut schlecht ist, muss ich ihn als Person verneinen, kann und will ich ihn nicht mal als Vaterfigur akzeptieren.
Wenn er aber gut und schlecht zugleich war, muss ich hin und her schwanken zwischen diesen Polen, und dies ist die dritte Möglichkeit der Auseinandersetzung: Sie besteht in dem schwierigen Balanceakt, zwischen einem historischen und einem privaten Vater zu trennen, so wie es der Sohn des Hitler-Vertrauten Martin Bormann versucht. Einen ähnlich ambivalenten Umgang mit der familiären Vergangenheit pflegt auch die Unternehmerfamilie Quandt – aus psychologischer Sicht durchaus nachvollziehbar, wiegt doch das Konglomerat aus Loyalität, Schuld und Scham ungleich schwerer, wenn die Nachkommen von ehemaliger Schuld auch noch profitieren.
Familie Quandt gilt heute als eine der wohlhabendsten Familien Deutschlands, und sie ist eine der Unternehmerfamilien, die im Dritten Reich Zwangsarbeiter beschäftigten und an der Enteignung von jüdischen Unternehmen beteiligt waren. Die Erben des Quandt-Unternehmens und -Vermögens mochten sich lange Zeit nicht mit den Verwicklungen ihrer Vorväter in die Verbrechen des Nationalsozialismus beschäftigen. Sven Quandt, einer der Enkel Günther Quandts, kritisierte in einem Fernsehinterview die deutsche Erinnerungskultur:
»Wir haben ein Riesenproblem in Deutschland, dass wir nie vergessen können. […] Wir finden es aber schade, denn es hilft Deutschland unheimlich wenig weiter. Je mehr wir […] darüber nachdenken und daran erinnert werden, genauso wird man im Ausland daran erinnert. Und wir müssten endlich mal versuchen, das zu vergessen. Es gibt in anderen Ländern ganz ähnliche Dinge, die passiert sind, auf der ganzen Welt. Da redet keiner mehr drüber« (TV-Dokumentation Das Schweigen der Quandts , NDR/ARD 2007).
Erst die kritische TV-Dokumentation Das Schweigen der Quandts im Jahr 2007 bewegte die Familie schließlich dazu, ihre Familienvergangenheit historisch aufarbeiten zu lassen. Die Recherchen eines unabhängigen Historikers ergaben, dass die Verwicklungen der Familie in die Verbrechen der NS-Zeit größer waren, als die Nachkommen wahrhaben wollten.
Ein Zeit -Interview vom 22. 9. 2011 mit Gabriela und Stefan Quandt verdeutlicht, wie schwer es den Erben immer noch fällt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, und wie groß die Verlockung ist, familiäre Schuld zu leugnen oder zumindest zu schmälern. Die Antworten der Quandt-Nachkommen schwanken zwischen Einsicht und Abwehr, sachlichen Beschreibungen, die Verantwortungen und Taten bagatellisieren, und vereinzelt verbalisierten Schamgefühlen.
Besonders Stefan Quandt, dessen Vater Herbert Quandt sich mitschuldig machte an dem begangenen Unrecht an etwa 50 000 Zwangsarbeitern, die in den quandtschen Unternehmen beschäftigt waren, windet sich im Interview um eine klare Stellungnahme. Er möchte seinen Vater Herbert Quandt nicht verurteilen, er vermutet, dass dieser während der NS-Zeit »unter Druck gehandelt und dann aus dieser frühen Phase seines Lebens gelernt hat«.
Herbert Quandt wurde 1910 geboren, er war bei Hitlers Machtergreifung also 23 Jahre, bei Kriegsende 35 Jahre alt. Stefan möchte sich lieber an die vier Jahrzehnte nach dem Krieg erinnern, in denen sein Vater »Werte umgesetzt« habe, die ihm »sehr wohl als Vorbild dienen«. Die Tatsache, dass Herbert Quandt für die Organisation der Zwangsarbeit im familiären Betrieb zuständig war, müsse die Familie akzeptieren, wenngleich Stefan Quandt sich wünschen würde, es wäre anders gewesen. Auch liege ihm als Enkel am Herzen, »darauf hinzuweisen, dass Günther Quandt nicht das Ziel verfolgt hat, Menschen zu töten. […] Diese Grenze wurde nicht überschritten.« Stefan Quandt sagt dies, obwohl er weiß, dass sein Großvater Rüstungsfabrikant war, und obwohl er weiß, dass viele der
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