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Das Blumenorakel

Das Blumenorakel

Titel: Das Blumenorakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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hören, ist auf einmal gar zu schrecklich. Und plötzlich hört all das Denken auf und man springt kopfüber.« Sie verzog den Mund, spuckte die nächsten Worte aus wie eine verdorbene Frucht. »Aus lauter Angst, etwas zu verpassen! Aus lauter Gier aufs Leben.«
    Â»Aber was hättest du denn verpasst? Warum waren Alexander und ich dir nicht genug?«, schleuderte Friedrich ihr entgegen. Er hätte sie am liebsten an den Schultern gepackt und kräftig geschüttelt. »Du sitzt hier, heulst vor dich hin und tust dir leid! Wie es mir geht, kümmert dich wohl nicht! Dabei …« Ein neuerlicher Schauer fuhr über seinen Rücken, legte sich wie Frost auf seine Haut.
    Â»Was?«, fragte sie mit leiser Stimme.
    Er schaute sie von der Seite an. »Als ich dir damals die Sage erzählte – weißt du noch, wie du mich nach den Ziegen gefragt hast? Du wolltest wissen, wie es ihnen erging, nachdem ihr Hirte sie verlassen hatte.« Friedrich runzelte die Stirn. »Damals bin ich dir die Antwort schuldig geblieben. Heute kann ich dir sagen, wie es den Ziegen erging, so allein gelassen«, fuhr er mit düsterer Stimme fort. »Verloren waren sie, allesamt! Sie liefen in die Irre, ohne Halt und ohne Ziel. Ein Schatten lag über ihrem Leben, der alles verdüsterte und dem sie nicht entkommen konnten.« Plötzlich schluchzte er auf und schrie: »Wie konntest du mir das nur antun?« Tränen liefen über sein Gesicht, wütend schlug er mit seiner Faust auf die Bank.
    Friedrich vermochte sich nicht daran zu erinnern, wann er das letzte Mal geweint hatte. Gewiss nicht, als er Floras Verrat entdeckt hatte. Und auch nicht in der Zeit danach, viel zu wütend war er damals gewesen. Nun aber konnte er nicht mehr aufhören zu weinen. Die salzige Flut bahnte sich unaufhaltsam ihren Weg – und mit ihr all die aufgestaute Wut, sein Hass, seine Trauer und seine Unfähigkeit zu verstehen. Willenlos ließ er zu, dass Flora ihn in den Arm nahm und wiegte wie ein Kind. Gemeinsam beweinten sie, was sie verloren hatten.

60 . K APITEL
    I rgendwann waren alle Tränen geweint. Flora ließ von Friedrich ab und schlang die Arme um ihren Leib, um sich gegen den kälter werdenden Wind zu schützen. Erschöpft und peinlich berührt saßen sie nebeneinander auf der Bank, während die untergehende Sonne immer schwächer wurde.
    Und nun? Was würde nun werden? Würde jeder wieder seines Weges gehen? Wo würde ihrer, Floras, bloß hinführen? Jetzt, nachdem sie Friedrich getroffen hatte, war der Gedanke, ins Hotel zurückzukehren, für sie noch weniger vorstellbar geworden. Natürlich musste sie zurück, um ihre Sachen zu holen, aber …
    Krampfhaft überlegte Flora, was sie sagen sollte. Unter niedergeschlagenen Lidern warf sie Friedrich einen Blick zu. Seine Haut war bleich wie poliertes Bein.
    Dass sie ihn getroffen hatte, ausgerechnet heute … Ausgerechnet an dem Tag, an dem ihre Gefühle für Konstantin gestorben waren. All ihre Gefühle, an nur einem Tag.
    Friedrich räusperte sich. »Es ist so, ich muss weg. Ich hätte eigentlich schon längst – also, ich habe einen dringenden Termin.« Er blickte in Richtung Stadt.
    Eine Traurigkeit, größer als jede zuvor, überfiel Flora. Er musste weg. Er hatte am Sonntagabend einen dringenden Termin – natürlich.
    Sie sprang auf. »Entschuldige, dass ich dich aufgehalten habe. Ich … ich wollte sowieso gehen.«
    Sein »Nein!« klang wie ein Peitschenhieb und ließ sie zusammenzucken.
    Â»Geh nicht«, sagte er leise. »Ich … möchte dir etwas zeigen«, fuhr er fort und streckte ihr seine Hand entgegen. »Komm.«

    Â»Du wolltest hier Lady Lucretia treffen? Ihr gehört jetzt das Marie-Eluise?« Ungläubig drehte sich Flora zu Friedrich um. Ihre Stimme hallte in dem kellerartigen Gewölbe wider, durch das der Länge nach ein dickes Wasserrohr rauschte.
    Auch in Floras Ohren rauschte es und einen Moment lang musste sie sich an einer der eisernen Wannen, die einsam in Reih und Glied nebeneinanderstanden, festhalten.
    Friedrich nickte. »Wahrscheinlich ist sie längst weg und hat vergessen abzuschließen. Wir waren schließlich schon um sechs Uhr verabredet.«
    Flora hob fragend die Brauen. Das Bedauern in Friedrichs Stimme war nicht zu überhören. Was hatte es mit alldem auf sich?

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