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Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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PROLOG
    »Ich sage Ihnen, Conte, heute ist mein Tag. Die Sterne stehen günstig. Heute Nacht muss ich mein Glück versuchen!«
    Die Stimme des jungen Mannes hallte durch die enge Gasse und schwang sich in die Höhe, bis zu den hölzernen Altanen, den balkonartigen, kleinen Dachterrassen, die so viele Dächer der bis zu vier Stockwerke in die Höhe ragenden Palazzi krönten.
    »Wenn Sie meinen«, antwortete ihm ein deutlich älterer Mann. »Dann sollte ich mich heute wohl lieber von Ihrem Tisch fernhalten?«, fügte er ein wenig belustigt hinzu.
    »Wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Geld in meine Taschen wandert, dann wäre das eine kluge Entscheidung, denn ich werde gewinnen«, gab der junge Mann überschwänglich zurück.
    »Wenn Sie es sagen, Cavaliere«, brummte der Conte und schien noch immer belustigt. »Dann gebe ich heute eben dem Roulette eine Chance.«
    Die beiden Männer strebten auf eine Tür zu, die genauso unauffällig war wie die Fassade des schmalen Hauses, das sich an die Rückwand des ehemaligen Palazzo Dandolo lehnte. Genauer gesagt einen der vielen ehemaligen Palazzi der einst so mächtigen venezianischen Adelsfamilie, aus deren Geblüt vor fünfhundert Jahren so mancher Doge der Republik hervorgegangen war. Heute lebten die letzten Nachfahren ein eher stilles und bescheidenes Leben. Die Palazzi waren längst verkauft und zwei davon in Hotels für wohlhabende Reisende umgewandelt. An der Riva degli Schiavoni empfing das berühmte Danieli in einem der Palazzi aus den Glanzzeiten der Familie seine Gäste. Hier im Westen des Dogenpalasts, im Pfarrsprengel von San Moisè, blickte ein weiterer ehemaliger Palazzo der Familie auf das Bacino di San Marco und die Kuppel von Santa Maria della Salute am Ausgang des Canal Grande.
    Die beiden Männer hatten jedoch keinen Blick für die schöne Aussicht in dieser klaren Nacht. Sie kamen aus einem ganz anderen Grund. Schon zu Zeiten, da noch ein Spross der Familie Dandolo den Palast zum Canal hin bewohnt hatte, hatte dieser schlichte Anbau ein Casino im Ridotto des Obergeschosses beherbergt. Ridotti waren im vergangenen Jahrhundert in Mode gekommen, damals hatte man allein im Pfarrsprengel von San Moisè über siebzig solch kleiner, privater Casini gezählt. Heute waren viele Spielhöllen von Venedig nach Razzien der Polizei geschlossen, doch das Ridotto hinter dem Palazzo Dandolo lebte dank der Freundschaft des Polizeipräsidenten zur Familie Dandolo weiter und erfreute sich bei Einheimischen als auch bei betuchten Reisenden nach wie vor großer Beliebtheit.
    Conte Contarini klopfte in einem einprägsamen Rhythmus gegen die Tür, die sogleich geöffnet wurde. Ein Diener in Livree verbeugte sich tief und begrüßte die beiden Herren mit Namen. Er bot an, ihnen ihre Hüte und die weiten, dunklen Umhänge abzunehmen. Er streckte auch die Hand nach dem Spazierstock des Conte aus, einem ungewöhnlich dicken Stock mit silbernem Knauf, doch der Conte winkte ab.
    Dann schloss sich die Tür, der Lichtschein verlosch und in der Gasse herrschte wieder nächtliche Ruhe. Nur das leise Plätschern der Wellen, die an den Kanalmauern leckten, wogte wie ein magisches Flüstern durch die Stadt.
    Ein Schemen erhob sich auf dem Dach des benachbarten Palazzo Giustinian, in dem vor ein paar Jahren das Hotel Europa aufgemacht hatte. Lautlos bewegte sich die Gestalt vorwärts, bis sie den Rand des Daches erreichte, von dem aus man in die Calle Ridotto hinuntersehen konnte.
    »Nun, wie sieht es aus?«
    Es war nur ein Flüstern, ein Hauchen, wie das Seufzen des Windes, der über die Dächer strich.
    Eine zweite Gestalt, die bis dahin reglos auf dem Dach verharrt hatte, löste sich aus der Schwärze der Nacht. Ein scharfes Auge hätte vielleicht eine kleine, schlanke Gestalt erahnt. Der Nachtwind fuhr durch üppige Locken. Das Gesicht war schmal, doch die Züge blieben hinter einer Maske verborgen, die schwarz war wie das lange Haar.
    »Es sind alle gekommen«, hauchte der Wind zurück. »Wie du gesagt hast. Die letzten haben eben erst das Haus betreten. Wollen wir?«
    Noch ehe die Worte verwehten, schlugen die bronzenen Giganten auf dem Uhrenturm an der Piazza gegen die Glocke.
    »Zwei Uhr«, wisperte die Stimme. »Ja, gehen wir es an. Nun ist es Zeit, dass wir uns ein wenig im Casino amüsieren.«
    Die andere Stimme lachte leise. Dann verstummte sie. Für einen Moment konnte man vielleicht noch zwei Gestalten an der Südseite des Daches erahnen, dann schob sich eine Wolke vor den Mond. Als

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