Das Blut der Medusa
Medusa lebt. Sie ist gemalt und lebt. Niemand weiß es außer mir. Ich stehe mit ihr in Verbindung, ich habe das Blut getrunken, da konnte ich sie malen. Ihre Hand hat meine geführt. Jeder Pinselstrich bedeutet ein Stück Leben. Und wenn sie will, tötet sie. Hütet Euch, Ihr Leute, hütet Euch, Ihr Ungläubigen, Ihr Arroganten. Da sind Dinge in Bewegung gesetzt worden, die erst am Anfang stehen. Medusa ist nicht tot, sie lebt auch in meinen Bildern weiter.«
Clarissa war bleich geworden. Sie mußte die Worte erst verdauen, und sie fragte sich gleichzeitig, ob der Mann ein Spinner war oder ein Realist? Wahrscheinlich beides. Er lebte in einer Welt, die völlig anders war als die normale. Abgetrennt von Dingen, die den normalen Alltag eines Erdbewohners interessierten, zudem eine Person aus dem vergangenen Jahrhundert, die eigentlich längst hätte tot sein sollen. Aber er lebte noch. Er war ein Zombie, er hatte das Blut der Medusa getrunken, das es schaffte, den eigentlichen Tod und den Verfall des Körpers zu überwinden.
Clarissa Main bekam eine Gänsehaut. Sie konnte einfach nicht begreifen, in was sie da hineingeraten war. Es gab keine rationale Erklärung für sie.
De Greco sprach wieder. »Alle werden zu Stein, hier und in Wien. Ich habe mit dem Gemälde Akzente gesetzt. Sie haben es ausgestellt, ja, es paßte ihnen in den Kram.« Er kicherte, wollte noch etwas sagen, da versagte ihm die Stimme.
Das wiederum wunderte Clarissa. Sie gab sich einen Ruck und mußte auch erst den innerlichen Schweinehund überwinden, um in das Zimmer peilen zu können.
De Greco stand ungefähr in der Mitte des Raumes, der kaum möbliert war. Nur ein Korbsessel stand in seiner Nähe. Neben der Wand hatte jemand ein Lager aus Bastmatten errichtet.
Clarissa wollte den Maler schon ansprechen, als ihr etwas auffiel. Seine Haltung war so unnatürlich, steif wie ein Brett, den Rücken durchgedrückt. Den rechten Arm erhoben, die Hand zur Klaue gekrümmt und sie vor seiner Kehle haltend.
Er hielt den Mund offen. Krächzende Laute, verbunden mit würgenden Geräuschen, drangen über seine Lippen. Er bewegte seine Beine und trat dabei auf der Stelle.
Clarissa verließ ihren heimlichen Beobachtungsposten und schob sich so weit vor, daß sie auf der Türschwelle stand und jetzt besser beobachten konnte.
De Greco hatte sie noch nicht gesehen. Seine Haltung erinnerte an die eines Betrunkenen. Er mußte sich breitbeinig aufbauen, um überhaupt Halt zu haben.
Dabei schwang sein Oberkörper vor und zurück. »Nein… nein… nicht! Ihr dürft es nicht tun. Ihr dürft das Bild nicht zerstören. Es ist mein Meisterwerk, es ist einmalig. Ich habe es mit dem Blut der Medusa gemalt. Sie gab mir die Kraft. Ich, de Greco, ich… aaahhhgggrrr…«
Diesmal umklammerte er seine Kehle so hart, als wollte er sich selbst erwürgen.
Clarissa beobachtete ihn mit Schrecken. Sie wunderte sich über sich selbst, daß sie den Mut aufbrachte, das Zimmer zu betreten und auf den Maler zuzugehen. Ihm ging es schlecht, sie wollte ihm helfen. Irgendwie hatte sie Mitleid.
Da drehte er sich um.
Er tat es nicht sehr schnell, blieb auch auf der Stelle stehen, und Clarissa schaute in sein Gesicht.
Der Schock traf sie wie ein plötzlicher Stromstoß. Mit vielem hatte sie gerechnet, damit aber nicht, denn der Mann vor ihr war zu einem Monstrum geworden.
Seine Haut sah aus, als wäre sie zusammengezogen worden. Sie hatte etwas Mumienhaftes bekommen. Wie zu einem Röcheln aufgerissen, sah der Mund aus wie ein Schlund innerhalb des Gesichts. Die Augen lagen auch nicht ganz normal in den Höhlen. Sie waren von unsichtbaren Kräften tiefer hineingedrückt worden. Er hatte Angst - Todesangst. De Greco schaute Clarissa an, die sich nicht traute, die Flucht zu ergreifen. Auch dann nicht, als er ihr seinen Arm entgegenstreckte, als wollte er Hilfe von ihr bekommen. Clarissa wehrte sich nicht. Sie kam ihm sogar mit ihrer Hand entgegen und legte sie in die seine.
Welch ein Gefühl! Welch ein Grauen!
Die Hand des Mannes war kalt, aber nicht cisig, eben wie bei einer Leiche. Hinzu kam die Veränderung der Haut. Clarissa konnte sie bewegen, als bestünde sie nur aus einem dünnen Gummifilm. Sic strich über Knorpel und Knochen, als wollte sie im nächsten Moment abrutschen wie ein Handschuh. Die linke Hand hielt de Greco gegen sein Gesicht gepreßt. Er hatte die Finger gekrümmt, die Spitzen mit den Nägeln schienen sich in die Haut bohren zu wollen, dann preßte er auch den
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