Das Blut der Rhu'u (German Edition)
kontaktieren, indem sie stundenlang in den Spiegel im Badezimmer gestarrt hatte. Aber er hatte sich nicht gezeigt. Vielleicht funktionierte das nur, wenn er zur selben Zeit ebenfalls in einen Spiegel blickte. Sie würde es also in sporadischen Abständen weiter probieren.
Wenigstens hatte sie in der letzten Nacht keine Albträume gehabt; überhaupt keine Träume, an die sie sich erinnern konnte. Trotzdem hatte sie unruhig geschlafen und war mit einem Mordshunger aufgewacht, den selbst die größte Menge Essen nicht zu stillen schien. Sie hatte sich bereits den Bauch vollgeschlagen und das Gefühl, dass er bald platzen müsste, aber sie fühlte sich immer noch nicht satt. Das lag wahrscheinlich am Stress. Schließlich waren in nur zwei Tagen eine Menge Dinge auf sie eingestürmt, von denen sie kein einziges schon bewältigt hatte.
Aber eins nach dem anderen. Sie hatte beschlossen, gleich nach dem Frühstück nach Ullapool zu fahren und Mr Muirs Nachlass zu holen, falls sie ihn bekäme. Dort konnte sie alles gleich auf dem Postamt aufgeben und zu Dr. Mortimer nach Edinburgh schicken. Danach würde sie ihre Sachen holen und Lochinver verlassen. Sie hatte zwar keine Ahnung, wohin sie gehen oder vielmehr fahren sollte, aber darüber konnte sie nachdenken, wenn sie unterwegs war. Hauptsache sie blieb in Bewegung und bot ihren Verfolgern kein festes Ziel.
Als sie nach dem Frühstück losfuhr, verabschiedete sich Caitlin besonders innig von ihr und ermahnte sie nachdrücklicher als sonst, gut auf sich aufzupassen. Kara hatte nichts anderes vor.
Die etwa vierzig Meilen lange Fahrt verlief ereignislos. Da Kara sich bei der Gemeindeverwaltung angekündigt hatte, erwartete man sie. Entgegen ihrer Befürchtung, dass es sie eine Menge Überredung kosten würde, Mr Muirs Nachlass zu bekommen, zeigte man sich entzückt, dass die Fotos und Tagebücher nach Edinburgh ins Museum gehen sollten. Kara bekam sie unverzüglich ausgehändigt und noch einen passenden Karton dazu, in dem sie sie nach Edinburgh schicken konnte. Bevor sie die fünf dicken, handgeschriebenen, bildbandgroßen Tagebücher einpackte, blätterte sie darin und schwelgte ein bisschen in Kindheitserinnerungen, als sie auf die eine und andere Geschichte stieß, die sie Mr Muir erzählen gehört hatte.
Demon’s Leap.
Der Name kam ihr vor wie ein pulsierendes Leuchtfeuer, als sie ihn auf einer Seite entdeckte, obwohl er nicht besonders hervorgehoben war und sich in nichts vom Rest der Eintragung unterschied. Sie erinnerte sich, dass allein seine Erwähnung sie vorgestern in Panik versetzt und ihr eine erschreckende Vision beschert hatte. Diesmal geschah zu ihrer Erleichterung nichts dergleichen. Sie las die Eintragung.
Mr Muir beschrieb den Ort als eine verborgene Höhle im Mount Canisp, in der angeblich in früheren Zeiten Männer und Frauen mit Buhldämonen Unzucht getrieben hatten, bis es eines Tages einer Gruppe von gottesfürchtigen Männern und Frauen gelungen wäre, die Dämonen zu töten. Angeblich gab es damals eine Frau, die von einem der Dämonen ein Kind empfangen hatte. Laut Mr Muir hatte man sie mitsamt ihrem ungeborenen Kind in den Fluten des Lochinvers ertränkt. Kara schauderte, als sie das las, und empfand eine irrationale Wut auf die Leute, die eine unschuldige, schwangere Frau ermordet hatten.
Sie klappte das Buch zu, legte es mit den anderen in den Karton, klebte ihn gut zu und adressierte ihn an das Museum. Anschließend brachte sie es zur Post und aß in einem Restaurant zu Mittag. Sie hatte immer noch Hunger, und wie schon das Frühstück versagte auch das opulente Mittagsmenü darin, sie zu sättigen. Was war nur los mit ihr? Sie war wohl kaum schwanger, da sämtliche anderen Begleiterscheinungen einer Schwangerschaft fehlten und sie auch immer verhütet hatte. Außerdem hatte sie regelmäßig ihre Monatsblutung. Nach einem dicken Stück Kuchen zum Nachtisch machte sie sich auf den Rückweg nach Lochinver.
Sie hatte immer noch keine Entscheidung getroffen, wohin sie gehen sollte, wenn sie nachher aus Lochinver verschwand. Sie war sich nur sicher, dass es höchste Zeit war. Seit sie die Post verlassen hatte, nahm das Gefühl einer drohenden Gefahr immer mehr zu. Es veranlasste sie, ständig in den Rückspiegel zu blicken und damit zu rechnen, dass die Angreifer von vorgestern auftauchen könnten. Aber niemand verfolgte sie. Zumindest niemand, den sie sehen konnte.
Sie musste ihren Bruder finden. Vielleicht hatte sie zu ihm die
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