Das Blut der Unsterblichen
mit ihren Wanderungen begonnen hatte.
Philippe und Estelle gaben sich die allergrößte Mühe, ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Zudem war Estelle eine geduldige und aufmerksame Mentorin. Sie lehrte Kristina, ihren Körper und ihren Blutdurst zu beherrschen. Sie zeigte ihr, wie man sich inmitten von Sterblichen verhielt, sich unauffällig bewegte und wie man die Spuren seiner Jagd beseitigte. Die Geschichte der Unsterblichen thematisierte sie ebenso wie die hierarchischen Strukturen. Zudem unterrichtete sie Kristina in Französisch und Spanisch und perfektionierte ihr Englisch, denn Bilingualität war in den Kreisen der Unsterblichen unverzichtbar.
Trotzdem war Kristina einsam. Es gab keinen Tag, keine Stunde, in der sie nicht an Marcus dachte. Wenn sie alleine draußen in der Dunkelheit stand und zu den Sternen hinaufblickte, dann wurde ihre Sehnsucht nach ihm fast unerträglich. Je mehr sie ihren Blutdurst unter Kontrolle bekam und je besser sie sich mit ihrem Körper und ihren Fähigkeiten zurechtfand, umso mehr verzehrte sie sich nach ihm. Seit quälenden vierundzwanzig Monaten war Marcus nun schon verschwunden. Er hatte ihr die Vollmacht über seine Bankkonten übertragen, was ihr anfänglich unangenehm gewesen war. Sie ging jedoch sparsam mit seinem Geld um, hob nur etwas ab, wenn sie Leila besuchen wollte, Pflegeartikel oder neue Kleidung brauchte. Außerdem hatte er sie, im Falle seines Ablebens, als Alleinerbin eingesetzt. Eine Tatsache, die sie lieber verdrängte.
Einmal im Monat rief er sie an, immer darauf bedacht, nicht zu lange zu sprechen. Die Anrufe beruhigten sie, fachten ihre Sehnsucht nach ihm jedoch immer wieder aufs Neue an. Mittlerweile hatte er sich seit sechs Wochen nicht mehr gemeldet und Kristina machte sich langsam Sorgen. Vielleicht sollte sie sich auf die Suche begeben. Viel zu lange schon saß sie auf diesem Anwesen fest. Es war an der Zeit, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen.
Die finanziellen Mittel für ihre Suche waren vorhanden. Alles, was sie brauchte, war eine ungefähre Vorstellung von seinem Aufenthaltsort. Soweit sie wusste, befand er sich auf geheimer Mission irgendwo in Nähe der kanadischen Grenze, doch war das nicht präzise genug. Eine Suche in diesem Gebiet wäre wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Vorerst konnte sie nur abwarten. Kristina seufzte. Nichts war schlimmer, als immer nur zu warten.
Während sie zum Haus zurückschlenderte, überlegte sie, dass sie zumindest ihren Wunsch nach Selbstbestimmung mit Philippe und Estelle besprechen sollte. Sie empfand sich als gefestigt und stark genug, um nicht vor den Augen Sterblicher die Kontrolle zu verlieren, oder sich allzu auffällig zu benehmen. Die Angewohnheiten der Unsterblichen waren ihr mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen. Sie bewegte sich automatisch langsam, ihr Körper verfiel nur auf direkten inneren Befehl in die Schnelligkeit der Unsterblichen. Überall hatte sie Sonnenbrillen, Hüte und Schildkappen deponiert und sie schaffte es selbst unter Blutdurst, ihre Fangzähne eingezogen zu halten. Sie wusste, wie und wo sie zu jagen hatte und auch wie man eine Leiche entsorgte.
Kristina lächelte still in sich hinein. Der Entschluss war gefasst. Sie würde Estelle um die Beendigung ihrer Lehrzeit und um die offizielle Aufnahme in die Gemeinschaft bitten. Anschließend würde sie nach Hause gehen.
Plötzlich hatte sie es eilig, in das Haus zurückzukehren. Hoffnung keimte in ihr auf. Die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit Marcus und die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes, ewiges Leben. Ein neuer Weg lag vor ihr und sie war bereit, ihn zu beschreiten.
Ende
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