Das Blut der Unsterblichen
ein Kamin aus hochwertigem Stahl und Glas, in dem eine mit Biogas betriebene Flamme brannte. Zwei stämmige Wasserpalmen belebten den Raum mit ihren schlanken Blättern und doch wirkte alles leblos und steril. Das Loft strahlte weder Behaglichkeit noch Wärme aus. Es war kein Zuhause, sondern nur eine Zurschaustellung von Reichtum.
Kristina erhob sich und schob den schweren Vorhang am Fenster zur Seite. Das Licht der untergehenden Sonne war nicht mehr ganz so unangenehm für die Augen. Den Tag hatte sie gemeinsam mit Leila auf einem Futon im Gästebereich verbracht, ohne jedoch wirklich Ruhe zu finden. Unentwegt hatte sie an Marcus und die drohende Hinrichtung denken müssen.
Zwar war Nahum ein freundlicher Gastgeber, doch zeigte er sich nicht gewillt, sie über den Stand der Dinge zu informieren, und da sie keine Ratsmitglieder waren, durften sie auch nicht an den Besprechungen teilnehmen. Nur Philippe hatte sein Wissen mit ihnen geteilt.
Sie seufzte, ging zum Sofa zurück und setzte sich wieder hin. Leila nahm neben ihr Platz und legte den Kopf an ihre Schulter, so wie sie es früher oft getan hatte, wenn sie traurig gewesen war oder sich allein gefühlt hatte. Zärtlich strich Kristina über ihr Haar. „Die ganze Situation ist eigenartig, findest du nicht?“
Leila nickte. „Ja, aber es ist auch cool. In den vergangenen Jahren schien mir mein Leben irgendwie nicht richtig zu sein. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich nicht bin, was ich sein sollte. Jetzt verstehe ich endlich, warum das so gewesen ist.“
Kristina empfand die Vorstellung, dass ihre Tochter schon immer die Unsterblichkeit in sich getragen hatte, als befremdlich. Im Nachhinein verstand sie die ein oder andere Merkwürdigkeit und sah die Hinweise, zum Beispiel dass Leila nie krank und schon immer sehr stark gewesen war. Trotzdem war sie in ihren Augen ein ganz normales und vor allem menschliches Kind.
„Wie war deine Verwandlung?“, fragte sie.
Leila überlegte kurz. „Sie war beängstigend und echt unangenehm. Es ging mir so schlecht. Aber am schlimmsten war, dass du nicht bei mir sein konntest. Wie war es bei dir? Ich habe gehört, dass es für Menschen noch viel schlimmer sein soll.“
Kristina schloss für einen Moment die Augen. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, ein Nachhall der Qualen, die sie durchlebt hatte. „Es war grauenhaft. So schmerzhaft, demütigend und qualvoll, dass ich es am liebsten aus meinem Gedächtnis löschen würde.“
Leila ergriff ihre Hand. „Das tut mir leid. Ich bin so froh, dass wir es hinter uns haben.“
„Ich auch.“
„Ist es nicht total cool, dass wir jetzt zweitausend Jahre alt werden können. Dafür hat es sich doch gelohnt, oder?“
Kristina lächelte auf ihre Tochter hinab. Sie erzählte ihr nichts von ihren Zweifeln, denn was hätte das genutzt? Sie musste einfach mit der Tatsache leben lernen, dass sie nur äußerlich ein Mensch war, im tiefsten Inneren jedoch eine blutrünstige Bestie.
Philippe kam die Treppe hinauf und betrat das Loft. Kristina und Leila sprangen auf und blickten ihm erwartungsvoll entgegen. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
„Guten Abend, meine Damen“, begrüßte er sie.
Kristina, die viel zu ungeduldig für den Austausch von Höflichkeiten war, fragte umgehend nach Marcus.
„Der Rat wird in Kürze das Urteil verkünden“, sagte er ausweichend und mied dabei ihren Blick.
„Was ist los, Philippe? Sie haben sich doch nicht für die Höchststrafe entschieden, oder?“, fragte Kristina.
Philippe seufzte gequält. „Es tut mir leid, Kristina, aber der Rat hat sich tatsächlich auf die Todesstrafe geeinigt.“
Kristina wich zurück. „Was? Nein! Das können sie nicht tun.“
„Sie können es, und wenn kein Wunder geschieht, werden sie es tun. Sie wollen ein Exempel statuieren“, erwiderte er.
„Du bist sein Freund, du musst ihm helfen!“
Philippe ließ die Schultern hängen. „Ich habe alles versucht. Ernesto hat die anderen aufgewiegelt und mit Nachdruck auf der Todesstrafe beharrt, dagegen kam ich nicht an.“
Kristina plumpste auf das Sofa und barg ihren Kopf in den Händen. „Wir müssen doch irgendetwas tun können.“
„Ich habe versucht, den Obersten des internationalen Rats zu kontaktieren, er könnte sich für Marcus verbürgen. Doch er war nicht zu sprechen. Ich bat jedoch um seinen Rückruf.“
„Aber wir wissen nicht, wann und ob er zurückruft, richtig?“ fragte Kristina. Philippe
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