Das Blut Des Daemons
ihren Eltern nach Boston zurück ist.«
Der Blick, den er mir zuwarf, war bestenfalls zweifelnd, doch dann nickte er erneut. »Und du wartest, bis ich wieder oben bin.«
Erst nachdem ich »Ja« und »versprochen« gesagt hatte, ließ er mich allein.
Einen Moment blickte ich noch auf die halb offene Tür, ehe ich die Decke zurückschlug, bedächtig die Beine über die Bettkante schob und in Zeitlupe aufstand. Auch wenn Julien mich durch das ganze Haus rufen hören würde, hatte ich kein Bedürfnis nach einem Schwindelanfall oder Schlimmerem. Aber sowohl mein Kopf als auch meine Innereien hatten wohl beschlossen sich manierlich zu verhalten. Zumindest für jetzt. Mein Bademantel war nirgends zu sehen, demnach war er wohl in meinem Kleiderschrank.
Mich traf fast der Schlag bei dem Anblick, der sich mir bot, als ich die Lamellentüren öffnete. Ein Wirbelsturm hätte kaum ein größeres Chaos anrichten können. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich bei meiner Suche nach den Schals ein solches Durcheinander hinterlassen hatte.
Zwischen T-Shirts, Blusen und einer mit einem dezenten Strass-Ornament verzierten Jeans fand ich meinen Bademantel endlich, schlüpfte hinein und machte mich auf den Weg ins Bad. Auch wenn ich Julien versprochen hatte, nicht in der Wanne zu ertrinken – zumindest nicht, bevor er wieder da war –, konnte ich doch schon einmal das Wasser einlaufen lassen. Nebenbei hatte der Gedanke, Zähne zu putzen, etwas Verlockendes.
Ich erreichte gerade die Treppe, als ich Julien und seinen Bruder hörte. Eine Sekunde lang zögerte ich, dann stieg ich die Stufen hinunter, nur um mit klopfendem Herzen auf der vorletzten stehen zu bleiben. Sie kamen aus der Küche. Demnach hatte Adrien die Nacht nicht einfach nur im Keller verbracht, sondern in dem geheimen Kellerraum, den man über eine Treppe erreichen konnte, die hinter einem deckenhohen eingebauten Regal in der Vorratskammer versteckt war. Genau in dem Raum, in dem er – und später auch Julien – sich verborgen hatten, als sie nach Ashland Falls gekommen waren.
Sie sprachen zu leise, als dass ich ihre Unterhaltung tatsächlich hätte verstehen können, doch sie waren laut genug, dass ich den Ärger und die Verbitterung in ihren Stimmen hörte.
Adrien massierte sich die Handgelenke. Selbst von hier aus konnte ich die Streifen sehen, die mein Schal auf ihnen hinterlassen hatte. Gerade drehte er sich um, sodass seine Worte deutlicher zu mir klangen. »... noch etwas übrig?« Er musste mich am Fuß der Stufen bemerkt haben, denn er schaute zu mir her.
»Nein.« Julien folgte dem Blick seines Bruders, runzelte kurz die Stirn, als auch er mich entdeckte, und wandte sich wieder Adrien zu, wobei er sich unmissverständlich zwischen ihn und den Durchgang zur Halle schob.
Ich zog den Bademantel enger um mich, als Adrien mich einen Moment lang ansah, ehe er sich umdrehte. Was er dabei zu Julien sagte, konnte ich erneut nicht verstehen. Juliens Antwort jedoch schon. Sie war hart und kalt. »Dann soll es so sein.« Ich schauderte bei seinem Ton. Adrien nickte nur und ging zur Haustür. Julien zögerte einen Augenblick, doch schließlich machte er kehrt und kam auf mich zu.
»Alles in Ordnung mit dir?« Die Kälte war aus seiner Stimme verschwunden – auch wenn ich unter seiner Sorge noch immer Anspannung hören konnte.
»Ja. – Wovon ist nichts mehr übrig?«
Die Haustür fiel ins Schloss.
»Vom Blut der Ersten.«
Ich sog scharf die Luft ein. Hätte ich mir das nicht denken können? »Du hast ihn belogen?«
Julien hob nur die Schultern.
»Was hat Adrien noch gesagt? Was ›soll so sein‹?«
»Er hat gesagt, dass wir geschiedene Leute sind.«
Geschockt starrte ich ihn an. »Aber … ihr habt doch nur noch einander.«
Um seinen Mund zuckte es. »Ich habe dich, Dawn«, erklärte er schlicht.
Meine Kehle wurde eng. Aber wie lange noch?! Es konnte doch nicht sein, dass Julien sein ganzes Leben meinetwegen über Bord warf. Das konnte ich nicht zulassen, niemals! Er liebte seinen Bruder! Kopfschüttelnd stieg ich die letzte Stufe hinab, auf ihn zu – und ignorierte das leichte Wanken um mich herum. »Geh ihm nach. Rede mit ihm.« Julien blickte den Korridor entlang, rührte sich aber nicht. »Bitte, tu’s fürmich …« Das Aufheulen eines Automotors ließ mich verstummen. Zu spät.
»Wir haben beide unsere Entscheidungen getroffen.« Abermals hob Julien die Schultern, doch der Bewegung fehlte die übliche Nonchalance. »Wir werden beide damit
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