Das Blut des Skorpions
seines aufbrausenden Temperaments.
Er war um die dreißig, nicht sehr groß, aber kräftig gebaut. Sein Gesicht wurde halb von einem Hut mit breiter Krempe verdeckt, an der eine lange Pfauenfeder prangte. Er trug einen gelben Rock, der etwas zu eng geschnitten war für seine massige Gestalt, und hohe Stiefel, die bis übers Knie reichten. An seinem Gürtel, nur teilweise verborgen durch den langen Umhang, hing ein Degen von beachtlichen Ausmaßen.
Der Diener blinzelte in das Gesicht seines Gegenübers, während die dunklen Augen des Malers ihn vor Zorn über diesen Anschlag auf seine Würde durchbohren zu wollen schienen.
Als Erstes fiel an dem Mann eine markante Nase von großzügigen Proportionen auf, unter der ein dichter, pomadisierter Schnurrbart in Henkelform wuchs. Dieser wurde durch einen Spitzbart ergänzt, der das ansonsten recht rundliche Gesicht wohl etwas strecken sollte.
Kurzum, er sah weniger wie ein Künstler aus als wie einer dieser zwielichtigen Hochstapler, die sich zuhauf in Rom herumtrieben.
Zwar versuchte er wie ein Edelmann aufzutreten, doch seine verschlissene, abgetragene Kleidung und die zahlreichen Flicken auf seinem Umhang legten die Vermutung nahe, dass er nicht gerade in Saus und Braus lebte. Zumindest darin entsprach er dem Bild, das man allgemein von einem aufstrebenden Künstler hatte: überheblich und mittellos.
»Ist dein Herr in seinem Zimmer?«, fragte der Maler mit seinem wohlklingenden Bariton.
»Ja, Signore, aber ich glaube nicht…«
»Kein langes Geschwätz, melde ihm, dass Giovanni Battista Sacchi ihn zu sprechen wünscht!«
KAPITEL II
Angesichts dieses herrischen Gebarens brachte Fernando nicht den Mut auf, sich zu widersetzen, denn das hätte sicherlich zu einem heftigen Wortwechsel geführt, und so kehrte er resigniert in das Studierzimmer seines Herrn zurück.
Der Maler bereitete sich indessen darauf vor, von dem berühmten Gelehrten empfangen zu werden, das heißt, er gab seiner äußeren Erscheinung den letzten Schliff, soweit das eben möglich war. Er legte den Umhang ordentlicher um seine breiten Schultern und zupfte an den Falten, damit die Flicken und gestopften Stellen möglichst wenig zu sehen waren. In einem Spiegel an der Wand betrachtete er sich kritisch, setzte den großen Hut noch ein wenig schräger auf und prüfte, ob sein Schnurrbart auch gut saß. Nach diesen Handgriffen warf er einen letzten Blick auf sein Spiegelbild und fand es alles in allem zufriedenstellend.
Er besuchte Pater Kircher bereits geraume Zeit, seit dieser ihn mit einer Reihe von Zeichnungen für eine Veröffentlichung über ägyptische Obelisken beauftragt hatte. In den letzten Jahren herrschte in Rom eine rege Bautätigkeit. Es wurden neue Kirchen, neue Palazzi, neue Sitze für die verschiedenen Kongregationen errichtet, und jedes Mal, wenn die Bauarbeiter alte Gebäude abrissen oder Fundamente für die neuen aushoben, brachten sie Überreste des antiken Rom aus dem Bauch der Erde ans Licht. Schon seit einigen Jahren war aufgrund dieser Funde ein neues Interesse am klassischen Altertum erwacht, und Gelehrte aus ganz Europa eilten herbei, um die Rätsel und Geheimnisse dieser untergegangenen Welt zu ergründen. Das bestgehütete unter den zahlreichen Geheimnissen der antiken Welt war zweifellos das der Hieroglyphen, welche die ägyptischen Obelisken schmückten, und Pater Kircher widmete einen großen Teil seiner Forschungskraft dem Studium und der Entzifferung dieser mysteriösen Schriftzeichen.
Die Interessen des Deutschen beschränkten sich jedoch nicht allein auf das alte Ägypten, sondern erstreckten sich auf so vielfältige Bereiche wie die Metallurgie und die Musik, die Astronomie und die Alchemie, die Vulkanologie und die Optik. Im Laufe eines seiner vielen Gespräche mit dem Jesuiten geschah es denn auch, dass Sacchi ihm die ungewöhnliche Behinderung gestand, unter der er litt, weil er hoffte, dass der Universalgelehrte ein Heilmittel dafür finden könne.
Bereits seit seiner frühen Jugend plagte den Maler ein merkwürdiger Sehfehler. Solange er sich mit kleineren Bildern und Zeichnungen beschäftigte, war seine Sehfähigkeit so gut wie vollkommen, aber sobald er es mit Arbeiten größeren Ausmaßes zu tun hatte, verzerrte sich seine Sicht auf eine Weise, dass man beim Betrachten des fertigen Bildes den Eindruck gewann, die Figuren seien auf unnatürliche Weise in die Länge gezogen, als wäre der Untergrund, auf den sie gemalt worden waren, gedehnt oder
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