Das Blut des Skorpions
vergangenen Jahrhunderts fertiggestellt worden war.
Mit großer Mühe schob er sich weiter, aber das Gedränge wurde immer dichter, und trotz seines energischen Rempelns machte er nur wenig Fortschritte. Als er etwa die Hälfte geschafft hatte, stolperte er über den Stab eines Bettlers, der sich wie er zum Ort des Verbrechens durchboxen wollte. Der Maler verlor das Gleichgewicht und fiel auf die Knie, glitt eine glatte Marmorstufe hinunter und landete hinter dem Sockel einer Statue. Um sich wieder aufzurichten, stützte er sich mit der rechten Hand an dem Sockel ab, wobei seine Halt suchenden Finger sich unwillkürlich um einen runden, kleinen Gegenstand schlossen.
Ein Blick genügte ihm, um zu erkennen, dass es sich um etwas Kostbares handelte, einen schimmernden Stein in einer silbernen, fein ziselierten Fassung. Blitzschnell ließ er das Schmuckstück in seiner Rocktasche verschwinden und hoffte, dass der rechtmäßige Besitzer das heimliche Manöver nicht mitbekommen hatte. Als er sich umblickte, stellte er fest, dass niemand zu ihm hinsah, denn alle Augen waren auf die Kapelle zu seiner Rechten gerichtet. Er würde später noch Zeit und Gelegenheit haben, seinen Fund zu begutachten, wenn er dieses Gewühl erst einmal hinter sich gelassen hatte.
Wieder auf den Beinen, kämpfte er sich weiter durch, bis er endlich eine Stelle erreichte, von der aus er den Tatort überblicken konnte.
Die Leiche lag in der Nähe eines prunkvoll geschmückten Altars und war mit einem Tuch bedeckt, sodass man nur die Füße sehen konnte.
Die Menge wurde mit Müh und Not von einem Dutzend Soldaten in päpstlicher Uniform auf Abstand gehalten, die sich der langen Griffe ihrer Piken bedienten, um dem Ansturm Einhalt zu gebieten.
Neben der sterblichen Hülle des Mönchs bemerkte Fulminacci einen Offizier der Wache, zwei wichtig aussehende Männer in dunkler Kleidung und einen hochrangigen Geistlichen. Sie sprachen verhalten miteinander.
Auf einen Wink des Prälaten hin hob der Offizier einen Zipfel des Tuchs an, damit der Geistliche, der offenbar gerade erst eingetroffen war, die Leiche sehen konnte.
Das Opfer lag mit seitlich ausgebreiteten Armen auf dem Rücken, in einer recht gemessenen Haltung also, wenn man die Umstände seines Dahinscheidens bedachte. Der abgetrennte Kopf war auf seine Brust gesetzt worden. Nach dem vielen, ringsum verspritzten Blut zu urteilen, musste der Leichnam von denjenigen, die als Erste herbeigeeilt waren und ihn gefunden hatten, so hergerichtet worden sein.
Fulminacci holte die provisorische Brille aus der Tasche, die Pater Kircher ihm gegeben hatte, und setzte sie sich auf die Nase, um alles genauer betrachten zu können. Soweit er es aus dieser Entfernung abschätzen konnte, war der tödliche Hieb mit viel Kraft und einer extrem scharfen Klinge ausgeführt worden. Die Ränder der grausigen Wunde wirkten glatt und ebenmäßig, ohne Risse.
Aus einer Tasche an seinem Gürtel zog der Maler einen kleinen Papierblock und einen feinen Kohlestift hervor, um damit die Szene detailgenau abzuzeichnen. Was ihn am meisten interessierte, war der Ausdruck auf dem Gesicht des Toten.
In den Jahren, die er bereits in Rom lebte, hatte er mehreren öffentlichen Enthauptungen von Straßenräubern und Mördern beigewohnt, denn diese Ereignisse kamen ziemlich häufig vor und zogen stets eine große Zuschauermenge an.
In der Mehrheit der Fälle handelte es sich bei den Verurteilten um einfache Männer aus dem Volk, die durch ein armseliges Leben in Elend und Verbrechen verroht waren. Sie hatten meist schon die Leiden einer langen Kerkerhaft hinter sich und mehrere Verhöre unter Folter erlitten, ehe sie vor ihren Henker traten. Man kann sich vorstellen, in welchem Zustand sie das Schafott bestiegen und wie wenig sie folglich als Modell für das Porträt eines heiligen Märtyrers geeignet waren, dessen Antlitz bereits vom göttlichen Licht verklärt wird.
Hier hatte er jedoch erstmals Gelegenheit, einen toten Mönch nach der Natur zu zeichnen, einen vermutlich frommen Mann, dessen Züge ein Altarbild mit einer Szene aus dem Evangelium nicht entstellen würden.
Tatsächlich entsprach das Gesicht des Jesuiten vollkommen den Erwartungen des Malers, auch wenn es selbst in der Totenstarre noch einen gewissen Ausdruck der Überraschung erkennen ließ.
Er arbeitete einige Minuten lang rasch und konzentriert, bis er ein ausreichend wirklichkeitsgetreues Abbild angefertigt hatte.
Als die Skizze fertig war, richtete er
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