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Das Blut des Skorpions

Das Blut des Skorpions

Titel: Das Blut des Skorpions Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Marcotullio
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seine Aufmerksamkeit erneut auf die Personen, die den entstellten Leichnam umgaben, um nach weiterem Material zu suchen, das er später einmal verwenden konnte.
    In der ersten Reihe, unmittelbar vor den Wachen, die das Volk in Schach hielten, bemerkte er sogleich den Bettler, der ihn vorhin zu Fall gebracht hatte.
    Im ersten Moment war er versucht, sich zu ihm durchzukämpfen, um ihm die Lektion zu erteilen, die er verdiente. Fulminacci war kein Mann, der gern die andere Wange hinhielt, und die von diesem Elenden erlittene Demütigung ließ das Blut in seinen Adern kochen, aber er machte sich schnell klar, dass es äußerst schwierig sein würde, seinen Widersacher in diesem höllischen Gedränge zu erreichen. Außerdem schien es ihm in Anbetracht der anwesenden Wachen keine gute Idee zu sein, eine Schlägerei anzufangen – noch dazu in einer Kirche und in Gegenwart eines ermordeten Priesters.
    Seit er sich in der Hauptstadt der Christenheit aufhielt, war er schon mehrmals einem Trupp solcher Schergen aufgefallen, und nie hatte es sich um eine angenehme Erfahrung gehandelt.
    Andererseits konnte er diese Grobheit nicht einfach auf sich sitzen lassen, und da eine sofortige Rache nicht möglich war, beschloss er, den Bettler zu zeichnen, um sich sein Aussehen einzuprägen. Bestimmt würde er bald wieder seinen Weg kreuzen, und dann hoffentlich unter günstigeren Umständen.
    Er versuchte, die Gesichtszüge des zerlumpten Individuums besonders genau wiederzugeben, auch wenn sich dieses Unterfangen als überaus schwierig erwies. Der Mann bewegte sich nämlich hektisch durch die Menge, wobei er seinen Stab wie eine Keule schwang und sich umsah, als hätte er etwas verloren. Seine Augen schnellten unablässig hin und her, und seine Miene war aufmerksam und konzentriert, der Mund wild entschlossen zusammengekniffen.
    Der Maler sagte sich, dass der Lump wohl nach einem geeigneten Opfer für einen Taschendiebstahl suchte, denn diese Tätigkeit wurde von einer bestimmten Sorte von Bettlern mit großer Geschicklichkeit ausgeübt.
    Als er seine Porträtzeichnung beendet hatte, entfernte sich Fulminacci vom Tatort und trieb sich noch ein wenig in dem Getümmel in der großen Basilika herum.
    Aus den Gesprächsfetzen, die er hier und da aufschnappte, erfuhr er, dass Pater Bartolomeo Stoltz, Jesuit und erster Bibliothekar der Segnatura Vaticana, der päpstlichen Bibliothek, ein von allen geschätzter Ordensbruder gewesen war, dessen Namen nicht das kleinste Gerücht befleckte.
    Allein das war schon ungewöhnlich in einer Zeit, in der die Würdenträger der Kirche eine gewisse Neigung zu, gelinde gesagt, lockeren Sitten zeigten. Bischöfe, Monsignori, erlauchte Kardinäle und andere Kirchenfürsten – alle, die im Leben der Stadt eine größere oder kleinere Rolle spielten, wurden früher oder später in irgendeinen Skandal verwickelt, und wenn eine Schmiergeldaffäre ruchbar wurde, konnte man sicher sein, dass eine Soutane dahintersteckte.
    Solche Vorfälle waren ein gefundenes Fressen für das Volk, das sich bei jedem Anzeichen von Unmoral wochenlang, monatelang oder manchmal sogar jahrelang über diesen oder jenen vornehmen Namen das Maul zerriss, sosehr die Machthabenden auch versuchten, dies zu unterbinden.
    Über Pater Stoltz hingegen war nie auch nur das Geringste zu hören gewesen.
    Fulminacci, der keine Ausnahme bildete, was die Sensationslüsternheit der Leute anging, war denn auch in gewisser Weise enttäuscht, als sich bestätigte, dass Pater Stoltz allem Anschein nach ein untadeliges Leben geführt hatte. Wobei seine Enttäuschung allerdings von Beunruhigung durchsetzt war, denn die Todesumstände des Geistlichen verhießen nichts Gutes.
    In der Öffentlichkeit wahrten die Mitglieder der römischen Aristokratie, sowohl die weltlichen als auch die geistlichen, die strengsten und höflichsten Umgangsformen, aber es war kein Geheimnis, dass solche Förmlichkeiten rein äußerlich waren.
    Von jeher fochten gegnerische Lager in der Stadt einen gnadenlosen Krieg hinter den Kulissen aus, um an die Macht zu gelangen oder an der Macht zu bleiben. Der Hass saß auf allen Seiten tief, und häufig wurden Skandale von dieser oder jener Partei dazu benutzt, den Gegner in Misskredit zu bringen. Auch hatte es schon oft Gerede über den verdächtigen Tod einer einflussreichen Persönlichkeit gegeben, der nach Meinung von Beobachtern weder dem göttlichen Willen noch dem Lauf der Natur zugeschrieben werden konnte.
    Die bevorzugte Waffe

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