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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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unerhört leicht zu beschädigen, als müsse man mit der allergrößten Behutsamkeit mit ihr umgehen. War ihr rührender Ernst, mit dem sie sich ihrer Arbeit hingab, Zeichen einer Beflissenheit, den hohen Maßstäben ihres Jobs Genüge zu tun und ganz bewußt auch eine rohe und nichtachtende Behandlung ohne Klage auszuhalten? Hatte sie Beschützer? Gab es in ihrem Umkreis Menschen, die verstanden hatten, welch zerbrechliches Lebewesen da herangewachsen war?
    Jetzt war das Ende ihrer Beschäftigung erreicht. Die Spitze des Zeigefingers betupfte eine Taste, schwupp, war der Film weg und kam nicht zurück. Der Arbeitsernst aus ihrem Gesicht verschwand. Sie wandte sich mit einem andersartigen Interesse den Nachrichten zu, die inzwischen eingetroffen waren. Sie war davon unmittelbarer berührt als von dem Film. Ich stellte mir vor, sie habe eben wie die Kinder, die ihre Eltern nachahmen, »arbeiten« gespielt, wie sie das in ihrem Büro beobachtet hatte. Jetzt folgte eine Art von Spiel, die keine Maske erzwang, sondern der sie sich unschuldig hingeben durfte. Sieh an, wer hatte da alles geschrieben! Sie lächelte beim Lesen. Die eben noch traktierten Lippen, die das Einsaugen völlig unbeschädigt überstanden hatten, rund und zart vorgestülpt wie zu einem Kinderkuß in die Luft, begleiteten die Antwort, die sie hurtig hinwarf, als erwarte sie eine augenblickliche Rückmeldung, und die kam auch, eine Zeile nur, die sie mit Verwunderung und Entzücken las.
    Und nun wurde ich Zeuge eines Vorgangs, den ich bis heute nicht vergessen kann, obwohl sich so viele Bilder dazwischengeschoben haben.
    Das Mädchen hatte eine neue Nachricht vor sich, einen längeren Text offenbar. Wir fuhren durch einen Tunnel, Licht fiel nur von der Seite ein, das Mädchen sank in den Schatten, aber das Glimmen des Bildschirms erhellte ihr Gesicht; es war geradezu geisterhaft schwebend aus dem Dämmer hervorgehoben. Anteilnahme und Spannung lagen auf ihren Zügen. Der Text ließ sie nicht unbeteiligt, obwohl er nicht leicht verständlich schien. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, die glatte Haut versuchte sich in Falten, sehr weichen, wie bei einem jungen Hund. Und nun, im voranrückenden Lesen, nahmen ihre Augen einen ungläubig verwunderten Ausdruck an, sie schüttelte ganz leicht den Kopf, als wolle sie sagen: »Aber so ist es doch gar nicht – so war es doch überhaupt nicht!« Und nun stieg eine Röte in ihr Gesicht, so überdeutlich, wie wenn man in das Blumenwasser einer weißen Nelke rote Tinte gießt und die Farbe sich in den Kapillaren der Blütenblätter verteilt, und dann wurden ihre Augen dunkel, und dann liefen sie über: Tränen traten über die Lider und rannen über ihre Wangen. Sie wischte sie nachlässig mit dem Handrücken ab, aber sie fuhr fort zu lesen, noch einmal von vorn, und diese Verdüsterung, diese unschuldige Empörung, dies Überwältigtwerden von Kummer war ein Anblick wie ein Naturschauspiel, ergreifender als eine Wolke von Zugvögeln oder ein rauschender Wasserfall, und ich verschlang diesen Anblick und war wie vor den Kopf gestoßen, als bei der nächsten Haltestelle das Mädchen aus seiner schmerzvollen Versunkenheit auffuhr, den Laptop zuklappte und eilig ausstieg.
    Finden sich schöne Menschen so schön, wie sie tatsächlich sind? Ein deutscher Dichter zitiert seine Großmutter: »Manche Leute sind schön und wissen es nicht, zum Beispiel ich.« Maruscha würde ich diese Gefühlslage zutrauen, ein sicheres Ruhen in der Wirkung, die ihre Erscheinung überall hervorrief, bei gleichzeitiger Nichtbeachtung ihres uneinholbaren Vorsprungs. Sprach sie mit einer kümmerlichen, schlecht angezogenen Frau, mit einem häßlichen Mann, dann vermittelte sie ihrem Gegenüber die Überzeugung, daß sie einen Unterschied zwischen ihnen und ihr nicht wahrnehme, daß sie einen solchen Unterschied auch gar nicht kenne. Ganz von gleich zu gleich ließ sie sich ins Gespräch sinken, und so nahm sie auch nicht die dankbare Belebung wahr, die sie ihren überraschend begünstigten Mitmenschen bereitete. Die streckten sich, eine leichte Röte trat abendsonnenhaft verschönend auf ihre Wangen. Die Liebe, die sie erregte, war die Wolke, auf der sie selbstverständlich schwebte, und tatsächlich mußte sie den Eindruck haben, daß die Welt, soweit sie es beurteilen konnte, aus lauter angeregtem Entgegenkommen, sogar Liebe und Freundschaft bestand, beinahe ein wenig zu sehr, das schuf auch Schwierigkeiten.
    Mit dem Mädchen aus der

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