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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Vorbild so vieler Bildhauergenerationen, war eine explizite Huldigung zugedacht. In karikierender Anspielung auf sein berühmtes Portrait, ein ausgemergeltes Boxergesicht nach dem Ende der Karriere, mit Matschnase und Blumenkohlohren, hohläugig, unter dem Kinn wehte der Bartlappen wie ein zum Trocknen aufgehängter Putzlumpen. Vielleicht wäre das Mädchen aus der S-Bahn, das um seine feinen Fingerchen so schöne Löckchen drehen konnte, eine gute Bildhauergehilfin gewesen. Beim Bart muß man sich etwas einfallen lassen, aber dem Meister war das Problem des Bartes, den er so liebte, nie aufgegangen: eine luftige Masse herzustellen.
    Dann gab es Frauen, die beim Versuch, sich in Brieföffner zu verwandeln, versteinert waren, eine »Betende« war wieder mit höchst nasigem Profil ausgestattet, als sei ihr Flehen der vorwärtsdrängenden Nase anvertraut.
    Hätte ich mir ein Stück aussuchen müssen – eine Frage, die ich mir immer stelle, sie beendet schnell jede Unentschiedenheit angesichts der Fülle von Eindrücken –, dann hätte ich mir den Moses-Kopf genommen, geschaffen Anfang der dreißiger Jahre, offensichtlich wieder eine Michelangelo-Huldigung, aber nicht ohne vertrackten Witz. Eigentlich gar nicht der Kopf eines Menschen, sondern der eines Kampfhundes oder einer besonderen Wildschweinart, die man Buckeleber nennen könnte, auch eines besonders aggressiven Widders, aber mit eigentümlich gekerbtem Rüssel und tobsüchtig hervortretenden Augen, man durfte auch an eine chinesische Dämonenmaske denken, aber der Kopf hatte die Drehung des Michelangelo-Moses und auch die bezeichnenden Hörnchen, die dem berühmten Übersetzungsfehler entstammen, ein gleichsam verhorntes Sprachmißverständnis. Das Ganze so glattpoliert wie ein verchromter Kühlergrill; diese Übersetzung der übergroßen historischen Figur ins Tierische kam mir genial vor, der Tierkopf als Darstellung der Vergöttlichung war unmittelbar einleuchtend, man sank als Betrachter unwillkürlich in viel ältere Schichten der Kultur.
    Ich erklärte den Moses-Kopf zu Mestrovics Schlüsselwerk, »aus dem heraus und um ihn herum« müsse man das Werk sich entwickeln lassen, so notierte ich mir. Da hatte ich aber noch nicht die Doppelseiten mit den großen Frauenakten vom Ende der zwanziger Jahre aufgeschlagen: schwellende, schwere Körper von großer Genauigkeit. Er mochte einen fragwürdigen Geschmack haben, aber ein Könner war er. Achselhöhlen, Bauchnabel, Rippen, Knie machte ihm so schnell keiner nach, diese weich unbestimmten Körperteile feierte er mit seiner ganzen Kunst, an diesen Stellen schienen seine übergroßen Damen zu leben, es pulsierte unter dem weißen Marmor, und die fetten Hände mit den überlangen, wäßrig aufgeschwemmten Fingern schmiegten sich wie große Nacktschnecken an die Unterschenkel, aber auf diesen verlockend dampfenden Schneefrauen saß stets ein besinnlich lächelndes Damenhaupt, mit leichter Adlernase und der hochgesteckten Frisur einer anthroposophischen Eurhythmielehrerin. Das Verblüffendste: Der Meister hatte den Brüsten seiner steinernen Göttinnen, so rund und vollstehend er sie gemeißelt hatte, keine Brustwarzen mitgegeben. So klein sie sind, ihr Fehlen hat eine gewaltige Wirkung. Ohne sie waren das eigentlich gar keine Brüste mehr, sondern luftgefüllte Ballons. Wie war er nur auf diesen verrückten Gedanken gekommen? Hatte er eine geheime Abneigung gegen Brustwarzen, vergleichbar dem Abscheu Ruskins vor dem Schamhaar seiner Frau? Oder wollte er echte Kunstmenschen schaffen, als schönheitstrunkener Doktor Frankenstein – aber warum verwandte er dann soviel Kunstfertigkeit auf den Bauchnabel? Hätte der nicht auch verschwinden müssen?
    Stoff für Katalogtexte gab es also, tiefenpsychologisch und ästhetisch und politisch ließen sich diese Werke einkreisen. Mir fielen auch schon Autoren ein. Dies war kein Trampelpfad, die Kunsthistoriker konnten sich hier austoben und Kategorien erfinden, die dem weithin unbekannten Werk seinen Platz in dem verschachtelten Gebäude der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts zuwiesen.
    Ich blätterte weiter, aber ich schrieb nicht mehr. Es war ein Unding, sich anhand von Photographien ein wirkliches Bild dieser Statuen zu machen. Um Statuen mußte man herumgehen, man mußte sie in verschiedener Beleuchtung sehen.
    Ich war aber bald davon überzeugt, daß es ein Fehler wäre, sich mit Mestrovic einzulassen. Wer wußte, auf welche Abwege ich mich da begab. Und das für eine

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