Das Blutbuchenfest
waren, empfanden sich als noch nicht klein genug, und tatsächlich mag es unerträglicher sein, in einer Zelle mit dem Todfeind eingesperrt zu werden als in einem Saal mit hundert Fremden. Wo hatte Mestrovic in diesem Konflikt gestanden? Kunst geht nach Brot, das ist ein altes und sehr begreifliches Gesetz, schon gar für Künstler, die viel Platz und teures Material für ihre Werke brauchen. Der Dichter kann sein Blatt Papier in die Tasche stecken und abreisen, aber wer in Bronze und Marmor arbeitet, der muß mit seinem Staat in Frieden leben, um dessen Plätze, Parlamente, Kirchen und Boulevards mit seinen Skulpturen zu bestücken.
Ich entschloß mich, zunächst nicht ins Detail zu gehen, sondern mir die Photographien zu betrachten und sie für mich zu beschreiben, um ein Gefühl für diese Kunst zu entwickeln. Was ich mir da notiert habe, ist mir neulich wieder in die Hände gefallen. Ich mußte laut lachen, als ich das Zeug las. Welchen Sponsor glaubte ich da wohl zu gewinnen? Und wenn ich daran dachte, welche Aufgabe Wereschnikow dieser Ausstellung übertragen wollte: die Repräsentation der kulturellen Superiorität des wankenden Jugoslawien, dann wurde es vollends absurd – heute bin ich davon überzeugt, daß er nie ein Original von Mestrovic gesehen hat.
Ich begann mit dem Selbstportrait des Meisters: »Den Kopf gewaltsam nach rechts gedreht, bis er fast aus den Halswirbeln springt. Soll wahrscheinlich die bis zur Verkrampfung reichende Willensanstrengung des Schöpfungsaktes sichtbar machen. Die Halsmuskulatur schwillt bizepsartig. Die Barett-Kappe auf dem Hinterkopf wirkt kochmützenhaft. Die Stirn sokratisch bombiert, der Demiurg als Faun. Augenbrauenwülste stechen über zornigen Augen in die Luft. Der Nietzsche-Schnurrbart hängt dem Meister wie Erbrochenes aus dem Mund. Die scharfen Falten an der Nasenwurzel geben seinem Ausdruck etwas Angewidertes. Was hat ihn neunzehnhundertdreißig auf der Höhe seiner Erfolge in solche Wut versetzt? Können erfolgreiche Künstler eigentlich noch authentisch wütend sein? Ist die Wut auf die Zustände, die Politik, die Ungerechtigkeit, die Heuchelei nicht im Kern immer die Wut über den fehlenden Erfolg? Wenn ich mit dieser Büste leben müßte, hätte ich Lust, sie gelegentlich zu ärgern. Ich würde manchmal ein Tuch über sie legen wie über den Käfig eines kreischenden Papageien und mir vorstellen, daß ihr in ihrer Ohnmacht die Galle hochkommt und aus den Mundwinkeln rinnt.«
Und in diesem Ton ging es munter fort. Ein Lebenswerk schrumpfte zum Panoptikum. Was in bewegten Jahrzehnten erkämpft war, lief im Durchblättern schnell wie die Modelle auf einem Laufsteg an mir vorbei, und der strenge Kunstrichter durfte den Daumen heben oder senken – meist hieß es einfach: Erledigt.
Da gab es einen lebensgroßen »Sankt Rochus«. Ein griechischer Windhund, sehr edel, schleckte dem Heiligen das Knie, das exzellent gearbeitet war, die Kniescheibe schwamm förmlich auf dem Gelenk, aber Rochus’ Kopf war El Greco-mäßig verdrückt mit blinden Augen und schiefem Mund, als hänge ihm im Mundwinkel der Gauloise-Stummel, Geheimratsecken, mit dem Heiligenschein wie einem schepp sitzenden Strohhut.
In seiner Frühzeit hatte sich der Meister einen nackten jungen Mann vorgeknöpft, der breitbeinig und erschöpft auf einem Haufen formloser Bronzeschlacke saß. Hühnerbrust, Hängeschultern, aber dann ein Riesenechsenhals, ein Stück Pythonschlange in den menschlichen Körper gepflanzt. Daß der Jüngling sich schwermütigen Gedanken hingab, war leicht nachzuvollziehen. Gewiß hatte er erlebt, daß die Mädchen, wenn er Kopf und Hals liebesuchend in ihre Richtung reckte, schreiend davongelaufen waren.
Sofort zu erkennen: »Ivan der Schreckliche«, Lieblingssujet der slawischen Kunst nach dem Ersten Weltkrieg, unheilverkündender Heros des slawischen Aufbruchs. Der sohnmordende Gewalttäter trug auch bei Mestrovic die von Eisenstein favorisierte Gummibademütze, der Bart war wie ein am Kinn festgewachsenes Stück Bronzebutter, der Kopf plattgedrückt und ganz Nase geworden, Mütze mit Nase wie ein Kaffeekannengriff.
Dann Religion: Maria, die Muttergottes als Kykladenidol mit mandelförmigem Kopf und mit von Bildhauerdaumen – man sah es förmlich vor sich – zugekneteten Augen. Ihr Handteller klumpig, die Finger raupenhaft, ihr Daumen ragte als großer Phallus unter dem Säuglingsgeschlecht ihres hochheiligen Sohnes hervor.
Michelangelo, dem verhängnisvollen
Weitere Kostenlose Bücher