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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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geradezu unhöflich ignorierte, ohne daß der sich abdrängen ließ, er wußte ja, was ihn bei Wereschnikow hielt: »Mein Vater sprach immer von einem Offizier, den er in Schweden vor dem Krieg kannte: ein Rittmeister, apollinisch schön, der eines Tages eine vollständig reizlose Frau heiratete. Sie war einfach gar nichts, nicht hübsch, nicht reich, sie interessierte sich für nichts, hatte keine Anmut, war erzlangweilig – man wunderte sich allgemein, daß sie überhaupt einen Mann finden konnte, und dann einen solchen. Obwohl er ein großes Schloß besaß, wohnten die beiden in einer winzigen Wohnung in Stockholm, wo sie niemanden empfingen – und dann starb die Frau, noch jung, plötzlich, an einer verschleppten Lungenentzündung, und mein Vater sagte, daß er nie solch einen Schmerz gesehen habe wie bei diesem Rittmeister, der Mann warf sich über die Leiche, war untröstlich, schluchzte, wollte verhindern, daß sie aus dem Haus getragen wurde … Sehen Sie, das war Liebe, das waren liebesfähige Menschen, Menschen, die sich von ihrem Liebesschicksal ergreifen ließen, die durch die Liebe sterben konnten, denen die Liebe das Herz brach – und heute: Jeder ist austauschbar, jederzeit ersetzbar … Ich habe jede Lust verloren. Seitdem Maruscha mir das angetan hat, sehe ich überall, wenn ich die Augen schließe, nur noch kopulierende Paare vor mir, ekelhaft, der Anblick macht mich taub …«
    Da trat Maruscha auf uns zu, ein junger Mann mit dickem Haarschopf und unternehmungslustigen, auch etwas aggressiv blickenden schwarzen Knopfaugen an ihrer Seite. Er hatte lässig den Arm um ihre Hüfte gelegt, was sie mit sichtbarer Überwindung duldete, obwohl das nicht vorteilhaft aussah. Jetzt erinnerte ich mich: Das war der Jüngling aus Rotzoffs Gesellschaft bei Merzinger. Ihre Souveränität war bemerkenswert, sie war vollständig unbefangen. Sie befreite sich lächelnd und keineswegs hastig aus dem besitzergreifenden Arm des Jünglings, nahm Wereschnikows leidend und vorwurfsvoll blickenden Kopf in die kühlen, schönen Hände und küßte ihn sanft, eine ganz selbstverständlich wirkende Geste der Vertrautheit, keine demonstrative Vertraulichkeit. Dann aber erkannte sie im Halbdunkel, vom Fackelschein unvorteilhaft verzerrt, Breegens steinernes Gesicht und zuckte zusammen. Ihn hatte sie nicht erwartet. Sie sahen sich an. Sogar Wereschnikow begriff, daß er hier niemanden vorstellen mußte.
    In großen Menschenansammlungen kommt es zu Wirbeln, die sich gegeneinanderdrehen. Ein solcher erfaßte mich jetzt und trieb mich von der Gruppe am Rande weg. Sollte ich das bedauern, oder hätte ich nicht froh darüber zu sein?
    Es sagt genug über Ivanas geistige Verfassung, daß sie Herrn Breegen, auf den ein inniger Haß in ihr zurückgeblieben war, nicht bemerkte, als sie mit ihrer Flasche vorbeikam. Ich sah noch, wie sie Wereschnikow einschenkte, beide mit zerstreuten Zeichen des Wiedererkennens, keiner eigentlichen Begrüßung. Dabei blickte sie Breegen voll ins Gesicht und er desgleichen in das ihre. Daß seine steinerne Miene – vielleicht sollte man doch besser von in Eiszeiten petrifiziertem Talg sprechen – sich nicht regte, verwundert nicht, aber daß Ivana gleichsam durch ihn hindurchsah und jede Regung von Wut durch ihre innerliche Ertaubung ausblieb, war außergewöhnlich. Sie war auf dem Fest im Grunde nicht mehr anwesend, und zugleich wurde sie durch das Fest gerettet, denn es schenkte ihr die Möglichkeit, sich körperlich zu erschöpfen. Hin- und herzurennen, wie der Besen in Goethes Zauberlehrling unablässig Gefäße zu füllen, ohne Sinn und Verstand, den Leuten kaum die Zeit lassend auszutrinken, das war wenn nicht eine Erlösung, so doch eine Lösung für diese Stunden. Was sie am Telephon gehört hatte, verlangte nach Antwort, mehr noch nach Tat. In ihrem Souterrain wäre sie vermutlich die Wände hinaufgelaufen. Es gab nur eine einzige Unterbrechung dieser Besinnungslosigkeit: Wieder zu Hause anzurufen.
    Drei Flaschen, vielleicht auch fünf hatte sie in leere und halbvolle Gläser gegossen, jetzt stand sie wieder vor dem Küchentelephon. Es war blockiert, irgendwelche Gäste hatten die Anschlüsse in den anderen Zimmern entdeckt, und nun wurde munter telephoniert, keineswegs nur nach Taxis. Nach einer weiteren Flasche war das Telephon unvermutet frei, Ivana schlüpfte mit ihrer langen Nummer in diese schmale Lücke.
    Die Stimme der Frau ihres Vetters Dragomir sprach so scharf und klar, als

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