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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Mannschaft verfügte nicht über die Gabe wunderbarer Vermehrung des mitgebrachten Roastbeefs. Vom Dessert würde es ein bißchen mehr geben, aber jetzt raste ein Lieferwagen in Merzingers Restaurant, um in den Tiefkühltruhen noch Eßbares zu erbeuten. Merzinger blieb zwar gelassen, aber das war jetzt nicht mehr väterlicher Gleichmut, zärtliche Ironie, sondern eher ein harten Kriegswintern angemessener Stoizismus. Leute, die bezahlt hatten – es gab eben auch hier eine Zweiklassengesellschaft – und die nicht wissen konnten oder die Augen davor verschlossen hatten, daß ihr Geld niemals in Lebensmittel hatte umgesetzt werden können, weil es nicht in Merzingers Hände gelangte, kehrten aus dem Gedränge am Buffet zornig zurück, beschwerten sich über das kleine, einer dünnen Schinkenscheibe vergleichbare Roastbeefstückchen und stießen mit denen zusammen, die gar nichts bekommen hatten. Zum Glück hatten die meisten inzwischen so viel getrunken, daß ihnen gleichgültig war, was ihnen serviert worden wäre, hätten sie in der vorderen Reihe gestanden. Ein bißchen peinlich waren die Proteste, und bei den Leuten, die auf der Markies-Seite ohne Kaufbillets eingetroffen waren, gab es spöttische Mienen, die Eleganz des Abends bekam eine Scharte. Noch unangenehmer war ein Versäumnis, das alle planenden Köpfe dieses Abends sich zuschreiben mußten. Keiner hatte daran gedacht, wo die in der schwülen Sommernacht reichlich Erfrischten sich erleichtern sollten. In der Glückschen Wohnung oben gab es nur zwei Klosetts, ein separates und eines in Glücks Badezimmer, aber wer sich erst einmal zu ihnen vorgekämpft hatte, fand dort Warteschlangen vor. Es waren zunächst die Männer, dann aber auch die Frauen, jedenfalls die jüngeren, die sich in die dunklen Zonen des Gartens, hinter die Blutbuche vor allem, zurückzogen. Da ergaben sich für flirtive Situationen erheiternde Steigerungen, wenn junge Männer für die Frauen, mit denen sie schon länger und hoffnungsvoller gesprochen hatten, im Finstern Wache stehen durften, kein Zweifel, das führte zusammen. Aber das in den saugfähigen Boden unter der Buche Hineingetroffene war allmählich zu riechen. Ein leichter Wind trug einen Dunst von Salpeter und Ammoniak an den Rand der Festgesellschaft, dort wurden die Nasen gerümpft.
    Wereschnikow war in die Nähe Breegens geraten. Frau Markies machte die Herren bekannt, nachdem sie sich von Wereschnikow Hand und Wange hatte küssen lassen, sie nahm dabei den Ausdruck kultivierten Genießens an, war aber vor allem von dem Wunsch beseelt, Breegen an ihren alten Verehrer weiterzureichen und alsbald von den zarten Knitterplissees ihres Zaubermantels umweht davonzuschweben, und das machte sie denn auch, obwohl die Herren nicht das leiseste Interesse aneinander bekundeten. Breegens Pokerface abzulesen, daß er Doktor Wereschnikow aus dem Fernsehen kannte, wäre nicht einmal einem kriminalistischen Verhörspezialisten möglich gewesen. Und Wereschnikow ahnte nicht, wie nahe ihm Breegen war.
    Ungeniert, als sehe er den Herrn plötzlich nicht mehr, der ihm so angelegentlich ans Herz gelegt worden war, begann er sein Klagelied zu singen, kaum daß er meiner ansichtig wurde. Ich verstehe schon, es ging auch darum, zu verhindern, daß ich noch einmal auf unser gescheitertes Projekt zu sprechen kam. Aber Wereschnikow war eben souverän. Wer da zusätzlich noch lauschen mochte, wenn er sein Innerstes nach außen kehrte, das scherte ihn nicht.
    »Ich weiß wirklich nicht, warum ich das alles mitmache«, begann er. Maruscha und ihren Kerl führe er hierher, an diesen Ort, an dem er ohnehin nichts zu suchen habe; welche Rolle war ihm zugedacht? Es war Maruscha, die ihn für unverzichtbar hielt. Mit Tommy, so hieß Tomislav jetzt schon ganz selbstverständlich, allein zurückzubleiben, kam ihr offensichtlich nicht erstrebenswert vor.
    »Mein Gott, ich habe ein anderes Leben geführt, immer diese Kreise gemieden, immer allein, immer in Gedanken – mein höchstes Vergnügen in meinen Pariser Jahren war, in einem kleinen Bistro um die Ecke ein paar Austern zu essen und dann in die Spätvorstellung der Kunstkinos zu gehen: Rashomon, der frühe Godard, der junge Buñuel … die Welt dieser Äußerlichkeiten hat mich nie bewegt, das ruhige Gespräch mit einem der großen alten Männer …« Er wurde von der Erinnerung überwältigt, schloß kurz die Augen und fuhr, wie unter dem Eindruck einer Vision stehend, fort, indem er Breegen nun schon

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