Das Blutgericht
Ich hätte ihm ein paar Schüsse in seine hässliche Fratze verpassen und ihn dann an die Fische verfüttern sollen.«
Allzu sehr überraschten mich die Neuigkeiten nicht.
»Also ist er immer noch irgendwo da draußen«, sagte ich. »Aber wenn wir Recht haben mit unserer Annahme, dass Gabe Wellborn sein Verbindungsmann war, dann hängt er jetzt etwas in der Luft. Er hat jetzt kein unterstützendes Netzwerk mehr hinter sich.«
»Er muss so gut wie unverwüstlich sein«, meinte Harvey, »er hat Kollision und Absturz überlebt und konnte flüchten. Ich glaube nicht, dass er sich jetzt irgendwo verkriecht und Ruhe gibt. Wahrscheinlich hält er sich nur versteckt und plant seinen nächsten Schritt.«
»Okay«, sagte ich, »wir machen es folgendermaßen: Ihr beiden bringt Marianne zu dem sicheren Haus, ich versuche Bradley aufzutreiben. Ich traue diesem Arschloch Seagram nicht zu, dass er ihn beschützen kann. Dieses Stück Scheiße würde höchstens dann für jemanden eine Kugel aufhalten, wenn er vorher über seine eigenen Füße stolpert und in die Schusslinie fällt.«
»Da kann ich dir helfen«, sagte Harvey. »Wir haben vor ein paar Minuten mit Bradley gesprochen. Marianne ist darauf gekommen: Es gibt da ein Motel, in dem sie ihre ersten Verabredungen hatten.«
Im Hintergrund hörte ich Marianne etwas davon sagen, dass ihre Rendezvous völlig unschuldig vonstattengegangen seien, dass sie sich dort nur getroffen hätten, um ins Kino oder in eine Bar zu gehen. Keine Schweinereien.
»Wo ist er?«, fragte ich.
»Mittlerweile muss er wohl auf dem Weg zurück nach Neptune Island sein. Wir haben ihn unterwegs an den Apparat bekommen. Haben versucht, ihn davon zu überzeugen, dass er sich von dort fernhalten sollte, aber davon wollte er nichts wissen.«
»Der Idiot«, fluchte ich.
»Er muss sich doch Sorgen machen«, sprang Marianne zu seiner Verteidigung ein. »Vergessen Sie nicht, dass es um sein Haus geht, um seine Familie.«
»Ja«, sagte ich. Um die gleiche Familie, die alles daransetzte, Bradley und sie um die Ecke zu bringen. Aber das sagte ich ihr nicht und fuhr fort: »Dort muss es mittlerweile vor Cops wimmeln. Es wird nicht leicht werden, sich mit ihm in Verbindung zu setzen.«
Marianne mischte sich ein: »Ich kann Ihnen ja seine Telefonnummer geben.«
»Er hat ein Handy bei sich?«, fragte ich.
»Nein, glaube ich nicht. Aber wenn er zu Hause ist, kann ich Ihnen die Durchwahl zu seinem Büro geben.«
»Hört sich gut an.«
Marianne spulte die Nummer ab, und ich prägte sie mir ein, um sie später ins Verzeichnis meines Handys einzutragen.
»Okay Jungs«, sagte ich. »Ich lasse euch jetzt mal euer Zeug erledigen. Ich rufe an, wenn ich weiß, wie es weitergeht. Passt auf euch auf. Wir haben keine Ahnung, wo dieser Irre als Nächstes auftaucht.«
»Keine Sorge«, sagte Rink, »beim nächsten Mal wird es keine Fehler mehr geben.«
»Ja«, sagte ich. Das Gefühl hatte ich auch.
»Mach’s gut Hunter«, sagte Harvey.
»Ja, pass auf dich auf, Bruder«, fügte Rink hinzu.
Sogar Marianne wendete sich an mich: »Bitte seien Sie vorsichtig, Joe. Und bringen Sie Bradley gesund zu mir zurück.«
»Mach ich«, versprach ich ihr. Dann legte ich auf.
Als Nächstes wählte ich die Nummer, die Marianne mir genannt hatte.
Ich bekam nur das Freizeichen zu hören. Und das immer wieder.
Ich beschloss, dass es vielleicht noch zu früh war, Bradley anzurufen, stieg aus dem Wagen aus und lockerte erst mal meine Glieder. Von dort, wo ich stand, konnte ich schon die Ausläufer des Jorgenson-Anwesens erkennen. Die Mauer, die die landeinwärts gerichtete Seite des Geländes abschirmte, war wie ein Fleck am Horizont. Dahinter konnte ich gerade noch das Erste der Familienwohnhäuser ausmachen, mit seinen Erkern an jeder Ecke des Dachs. Aber vielleicht war es auch nur eine Täuschung, die ich dem Hitzeflimmern zu verdanken hatte.
Mittlerweile waren ziemlich viele Touristen unterwegs. Manche von ihnen hatten Decken mitgebracht, andere spazierten mit ihren Angelruten über die Sanddünen, auf denen die Gräser im Wind wogten, auf dem Weg zur Bucht. Wieder andere hatten Ferngläser dabei. Es mussten sich hier schon eine Menge besonderer Vögel finden lassen, anders war das übermäßige Auftreten der Hobby-Ornithologen für mich nicht zu erklären. Eine laute Meute von Typen im Collegealter spielte Volleyball im Sand. Einige hatten Bierflaschen in der Hand und posierten für die jungen Frauen, die sie von ihren
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