Das Blutgericht
Wasserstrahl. Meine Muskeln waren durchblutet und aufgepumpt von den ganzen Übungen, ich entspannte mich im heißen Dampf und massierte meinen Körper mit einem eingeseiften Schwamm. Als ich aus der Dusche trat, galt meine gesamte Konzentration wieder meinem Job.
Ich schlüpfte in frische Boxershorts und ein paar Jeans, die an meinem feuchten Körper klebten. Mit nacktem Oberkörper holte ich meine SIG aus ihrem Versteck und setzte mich auf das Bett, um sie zu reinigen. Ich hatte Lappen und Öl dabei, nahm die Pistole auseinander und legte alle beweglichen Teile vor mir aufs Bett. Als ich sie wieder zusammengebaut hatte, schob ich ein neues Magazin ein und lud durch, damit ich jederzeit bereit war. Nach der Methode der sicheren Schusswaffenhandhabung, die sämtlichen Polizeikräften der ganzen Welt beigebracht wird, ist es unter keinen Umständen erlaubt, eine Kugel in der Kammer zu haben, wenn die Waffe getragen wird. Doch das bietet höchstens Sicherheit gegen Schadenersatzklagen. Oder dagegen, dass sich ein unbeholfener Cop selbst in den Fuß schießt. Ich vertrat da eine andere Auffassung und war Anhänger des »Point Shooting«: Ähnlich den Pistolenhelden in den Westernfilmen konnte ich in einer Bewegung ziehen, zielen und feuern. Die Idee dahinter war, so wenig Zeit wie möglich zu verschwenden. Wenn ich erst durchladen musste, fehlte mir eine wertvolle Sekunde. Und die konnte mich das Leben kosten.
Meine SIG war speziell für mich modifiziert worden, sie hatte keinen Sicherungshebel, und der Lauf hatte weder Kimme noch Korn, damit sich nichts in meiner Kleidung verheddern konnte. Es war ein Modell mit Schwermetallkörper, der den Rückstoß beinahe eliminierte. Ganz praktisch, weil die 9mm-Parabellums, die sie abfeuerte, genug Durchschlagskraft hatten, um die meisten Gegner in die Knie zu zwingen. Ich wollte keine Pistole, die sich ständig in der Hand aufbäumte und mit der ich nach jedem Schuss neu zielen musste.
Harvey hatte genug Ersatzmunition mitgebracht. Außerdem hatte er mir ein mit schwarzem Epoxid überzogenes KA-BAR-Messer geliefert und ein neues Prepaid-Handy, das ich bei der vor mir liegenden Operation brauchte.
Ich stand auf und betrachtete mein Spiegelbild am anderen Ende des Zimmers. Die meisten Menschen würden in mir einen Mann sehen, der etwas größer war als der Durchschnitt, fast vierzig Jahre alt, aber mit dem Körper eines Dreißigjährigen. Sie würden das kurze braune Haar mit leicht angegrauten Schläfen sehen und die Augen, die je nach meiner Stimmung zwischen Blau und Grün changierten. Ihnen würde die Tätowierung auf meiner rechten Schulter auffallen, und sie würden sich fragen, was sie wohl bedeutete. Nur wenn sie genauer hinschauten, würden sie bemerken, dass ich meine Lebensgeschichte auf der Haut trug: eine Ansammlung von Narben, die ich mir in meinen vierzehn Jahren in der Terroristenbekämpfung und den vier Jahren seitdem zugezogen hatte. Über meinem rechten Brustmuskel befand sich eine kleine weiße Einbuchtung, die von einem Schuss herrührte, den ich auf Patrouille in Belfast abbekommen hatte. Die Austrittswunde, etwa zwei Zentimeter neben der Tätowierung, war inzwischen von runzligem Narbengewebe überwachsen.
Ich berührte eine Narbe, die noch nicht so alt war, strich mit den Fingern über den rosa Wulst auf meiner Brust links neben meinem Herzen. Die hatte ich dem Kampf mit einem ehemaligen Secret-Service-Agenten namens Martin Maxwell zu verdanken, der irgendwann angefangen hatte, Menschen zu töten und die Knochen aus ihren Körpern zu entfernen. Die Knochen brachte er nach Jubal’s Hollow, seinen geheimen Zufluchtsort in der Mojave-Wüste. Maxwell, vom FBI unter dem Namen »Der Knochensammler« geführt, hatte einen Fehler gemacht, als er mir meinen Bruder John nahm. Ich jagte den Bastard, bis ich ihn fand, und rammte ihm einen der Knochen aus seiner Sammlung in den Hals. Aber auch er erwischte mich ziemlich gut, und es war reines Glück, dass er mein Herz verfehlte und nur das Gewebe über meinem Brustmuskel traf.
Wenn ich an den Knochensammler dachte, konnte ich nicht umhin, ihn mit dem Wahnsinnigen zu vergleichen, mit dem ich es seit kurzem zu tun hatte. Woran lag es nur, dass diese Typen sich immer mit fremden Namen schmückten? Und warum stammten die meistens aus der Bibel? Martin Maxwell hatte sich für eine Reinkarnation von Tubal-Kain gehalten, und nun hatte ich einen Irren vor mir, der glaubte, er sei mit Luzifer und seiner Gang aus dem
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