Das böse Spiel der Natalie Hargrove (German Edition)
diese Hände das erste Mal wahrgenommen hatte – entschlossen und sonnengebräunt hatten sie einen Baseballschläger gehalten, an Kraft definitiv nicht zu unterschätzen.
Mikes Zimmer lag über dem schicken Scot’s Glen Golfclub, der die Jugendlichen von der anderen Seite der Stadt – der falschen Seite – dazu verlockte, sich heimlich aufs Gelände zu schleichen und aus Spaß Golfbälle auf die Häuser der Reichen zu werfen. Echt erwachsen, ja, aber es gab auch nicht viel, womit sich ein Trailerpark-Kind von der anderen Seite der Brücke sonst vergnügen sollte. Und es gehörte mit zum Spiel, dass die Bonzen-Kids an der Hintertür ihrer Villen eigene Waffenarsenale hatten, um die vandalisierenden Habenichtse zu vertreiben.
Natürlich hatte ich auch schon meinen Spaß mit genau den Jungs von der falschen Seite gehabt, die ständig mit einem Fuß im Jugendknast standen und Namen wie Junior Junior trugen. Meine alte Freundin Sarah Lutsky behauptete immer, nichts würde eine Romanze mit einem Proleten mehr anheizen als die brenzlige Gefahr, bei etwas Illegalem erwischt zu werden. Aber als ich Mike kennenlernte, hatte ich gerade beschlossen, ein ganz neues Kapitel anzufangen.
Es war der 15. September in der neunten Klasse und ich war gerade erst an die Palmetto High gekommen. Meine Mutter hatte vor Kurzem geheiratet – schon wieder – und endlich ihr Lebensziel erreicht: uns auf die richtige Seite der Brücke zu bringen und somit in den Schulbezirk von Palmetto. Als also mein Golfball durch Mikes Zimmerfenster klirrte, geschah das – zur Abwechslung – völlig unbeabsichtigt. Ganz zu schweigen davon, dass es das abrupte Ende meiner ausgesprochen kurzen Karriere als Golfspielerin bedeutete.
Wenn ich jetzt daran zurückdenke, ist es völlig absurd, aber als ich Mike damals baseballschlägerschwingend aus dem Haus gerannt kommen sah, nur mit einer Shorts bekleidet, dachte ich als Erstes an Flucht. Schließlich hatte Sarahs Rat immer gelautet: »Wenn es zu heiß wird, schwimm nach Hause.«
»Hey, warte!«, hatte Mike gerufen und war mir nachgelaufen. »Warte mal, ich dachte … ich habe dich mit jemand verwechselt.«
Ich erstarrte neben seinem Pool in meinem nagelneuen Golfpolohemd und dem weißen Mini-Faltenrock – ein Geschenk meines neuen Stiefvaters und das Teuerste, was ich je besessen hatte. Erst in diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben das Recht hatte, hier zu sein. Ich musste es nur wollen.
Mike wusste immer noch nicht, wie entscheidend unsere erste Begegnung für mich gewesen war. Er glaubte bis heute, dass unsere kleine Knutscherei hinter dem Poolhaus diesen Tag für mich so schön gemacht hatte, dass ich darauf bestand, ihn jeden Monat zu feiern. Aber wir waren jetzt seit über drei Jahren zusammen (weit länger, als die dritte Ehe meiner Mutter gehalten hatte), und ich fand, dass bezüglich gewisser Dinge in meiner Vergangenheit die Sache mit der »reinen nackten Wahrheit« auch übertrieben werden konnte.
Während Mike weiter zärtlich meinen Nacken bearbeitete, spürte ich, wie ich mich immer mehr entspannte, und stieß einen zufriedenen Seufzer aus.
»Hey, das Geräusch kenne ich doch«, flüsterte mir Mike ins Ohr. »Du schläfst gleich ein! Aber vergiss nicht, dass du nicht die Einzige bist, die eine kleine Après-Schul-Entspannung braucht.«
Ich riss die Augen auf und setzte mich so schnell auf dem Wasserbett auf, dass es zu schaukeln begann.
»Das heißt, dass du dir auch Sorgen wegen der Palmetto-Wahl machst?«, fragte ich atemlos. »Ich dachte, es ginge nur mir so, aber du hast heute bestimmt auch die ganzen Plakate gesehen. Glaubst du, wir haben genügend aufgehängt? Findest du nicht auch, dass wir besser aussehen als alle anderen?«
»Was für ein Stimmungskiller!«, lachte Mike und strich mir mit der Hand über die Seite. »Ich hab nur gemeint, dass ich ganz allgemein eine … tja, eine kleine Hilfe beim Stressabbau brauchen könnte … du weißt schon, zwinker, zwinker.«
»Oh.« Ich streckte mich über den Bettrand, um mir einen Kaugummi in den Mund zu schieben. »Das.«
»Ja«, erwiderte er. » Das . Klingt ja außerordentlich begeistert.«
Als ich Mike in die Augen sah, merkte ich, wie albern ich mich anhören musste. Dabei meinte ich es gar nicht so. Wenn ich ihm körperlich so nahe war, wollte ich ihm immer am liebsten sofort die Kleider vom Leib reißen. Es war nicht so, als hätte ich das vergessen, ich hatte nur viel zu sehr diese
Weitere Kostenlose Bücher