Das Böse unter der Sonne
nachdenklich. «Ich glaube, es zog mich her, weil es so romantisch klang: ein Hotel auf einer Schmugglerinsel. Das macht einen neugierig. Die Träume seiner Jugend fallen einem wieder ein – Piraten, Schmuggler, das ganze Zeug.» Er lachte selbstgefällig.
«Ich bin als Junge viel gesegelt. Nicht in dieser Ecke, sondern an der Ostküste. Komisch, dass man den Spaß daran auch später nicht verliert. Ich könnte mir eine große Jacht leisten, wenn ich wollte, aber irgendwie gefällt mir das nicht. Mir gefällt es, mit einem kleinen Boot rauszufahren. Redfern segelt auch gern. Er ist schon ein paarmal mitgekommen. Aber jetzt ist nichts mehr mit ihm los. Er hat nur noch Augen für die rothaarige Mrs Marshall.»
Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er im Flüsterton fort: «Die meisten Gäste sind alt und vertrocknet. Mrs Marshall ist eigentlich der einzige Lichtblick. Ich nehme an, dass Marshall alle Hände voll zu tun hat, damit sie keine Dummheiten macht. Man erzählt sich alle möglichen Geschichten über die Zeit, als sie noch auf der Bühne auftrat und auch über die Zeit danach. Die Männer waren verrückt nach ihr. Es wird noch Ärger geben.»
«Was für Ärger?», fragte Poirot.
«Das hängt von verschiedenen Dingen ab. Ich würde sagen, dass Sie auf Marshall achten sollten. Der sieht aus, als könnte er ganz schön jähzornig werden. Ich weiß es sogar genau. Ich habe einiges über ihn gehört. Diese ruhige Sorte kennt man doch! Man weiß nie, woran man bei denen ist. Redfern sollte lieber aufpassen…»
Er schwieg plötzlich, weil der Gegenstand ihres Gesprächs die Bar betrat. Dann sagte er laut und jovial: «Wie ich schon sagte, es macht Spaß, an dieser Küste zu segeln. Hallo, Redfern. Trinken Sie was mit uns? Was möchten Sie? Einen trockenen Martini? Sehr schön. Und wie steht’s mit Ihnen, Monsieur Poirot?» Poirot schüttelte den Kopf.
Patrick Redfern setzte sich zu ihnen und sagte: «Segeln ist mein liebster Sport. Ich wünschte nur, ich käme öfter dazu. Als Junge habe ich die meiste Zeit in einem Segelboot hier an dieser Küste verbracht.»
«Dann kennen Sie diesen Teil von England gut?», fragte Poirot.
«Ziemlich gut. Ich kannte die Insel schon, als das Herrenhaus noch kein Hotel war. Es gab nur ein paar Fischerhütten und das große alte Haus, in dem niemand mehr wohnte.»
«Es stand früher schon ein festes Gebäude auf der Insel?»
«Ja, aber kein Mensch wohnte mehr dort. Es war bereits baufällig. Man erzählte sich die unglaublichsten Geschichten über Geheimgänge von diesem Haus zur Feenhöhle. Ich erinnere mich, dass wir immer danach suchten.»
Mr Blatt vergoss etwas von seinem Drink. Er fluchte, wischte sich ab und fragte: «Was ist das für eine Höhle?»
«Ach, wissen Sie das nicht?», fragte Patrick Redfern. «Sie liegt in der Feenbucht. Der Eingang ist nicht leicht zu finden. Er ist hinter einem Haufen Felsbrocken versteckt. Nicht viel mehr als ein langer, schmaler Riss. Man kann sich gerade hindurchschieben. Drinnen weitet sich die Höhle zu einem riesigen Raum. Sie können sich vorstellen, wie begeistert wir als Jungen von dieser Höhle waren. Ein alter Fischer zeigte sie uns. Heute wissen nicht mal die Fischer mehr Bescheid. Kürzlich fragte ich einen, warum der Strand dort Feenbucht genannt wird. Er hatte keine Ahnung.»
«Ich verstehe immer noch nicht», sagte Poirot, «was für eine Fee das ist.»
«Ach, davon gibt’s hier in Devonshire eine Menge», erwiderte Redfern. «Bei Sheepstor im Moor liegt auch eine Feenhöhle. Man muss dort eine Haarnadel zurücklassen, sozusagen als Geschenk für die Fee, verstehen Sie.»
Hercule Poirot nickte freundlich. «Aha, sehr interessant.»
«Im Dartmoor erzählt man sich immer noch eine Menge Feenmärchen, Geschichten über verzauberte Steinhügel und so weiter. Bauern, die nach einer durchzechten Nacht spät nach Hause kommen, behaupten sogar heute noch, dass sie von einer Fee in die Irre geführt worden seien.»
«Sie meinen, wenn sie betrunken waren?», fragte Blatt.
Redfern lächelte. «Das ist die nüchterne Erklärung, die man für so etwas hat.»
Blatt warf einen Blick auf seine Uhr. «Ich muss mich fürs Abendessen umziehen. Wenn ich ehrlich bin, Redfern, sind mir Piraten lieber als Feen.»
Nachdem Blatt verschwunden war, meinte Redfern lachend: «Na, der ist wohl auch schon einer Fee begegnet.»
Poirot bemerkte nachdenklich: «Für einen abgebrühten Geschäftsmann scheint mir Mr Blatt eine blühende
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