Das Bourne Imperium
setzte sich mit gerunzelter Stim auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch.
»Geben Sie mir einen Tag Zeit«, fuhr der Major von MI-6 fort. »Vielleicht kann ich es herausfinden. Wenn ja, werden wir die betreffende Person im Konsulat schnappen.«
»Nein«, sagte der Diplomat. »Sie haben bis acht Uhr heute Abend Zeit. Wir können uns nicht einmal so viel Zeit leisten, aber wenn wir eine Konfrontation und sich daraus ergebende Peinlichkeiten vermeiden können, müssen wir das
in Kauf nehmen. Alles kommt darauf an, dass wir das Problem im Griff behalten. Versuchen Sie es, Lin. Um Gottes willen, versuchen Sie es!«
»Und nach acht Uhr, Herr Botschafter? Was dann?«
»Dann, Major, werden wir unseren klugen und glattzüngigen Attaché holen und ihn durch die Mangel drehen. Ich würde es bei weitem vorziehen, ihn zu benutzen, ohne dass er das weiß, ohne einen Alarm zu riskieren, aber die Frau geht vor. Acht Uhr, Major Lin.«
»Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht.«
»Und wenn wir uns irren«, fuhr Havilland fort, als hätte Lin Wenzu überhaupt nichts gesagt, »wenn dieser Nelson als Strohmann aufgebaut worden ist und nichts weiß, dann möchte ich, dass alle Regeln gebrochen werden. Mir ist egal, wie Sie es anpacken oder wie viel Bestechungsgeld es kostet oder was für Gesindel Sie einsetzen müssen. Dann möchte ich Kameras, Telefonwanzen, elektronische Überwachung – was eben geht – für jede Person im Konsulat. Irgendjemand dort weiß, wo sie ist. Jemand dort versteckt sie.«
»Catherine, ich bin’s, John«, sagte Nelson. Er stand an einem Telefonautomaten an der Albert Road.
»Sehr nett, dass Sie anrufen«, antwortete Catherine Staples schnell. »Das wird heute ein anstrengender Nachmittag, aber wir sollten uns auf ein paar Drinks treffen. Wird nett sein, Sie nach all den Monaten wiederzusehen, dann können Sie mir von Canberra erzählen. Aber sagen Sie mir jetzt eines. Habe ich mit dem, was ich Ihnen gesagt habe, Recht gehabt?«
»Ich muss Sie sprechen, Catherine.«
»Nicht einmal eine Andeutung?«
»Ich muss Sie sprechen. Sind Sie frei?«
»Ich habe in fünfundvierzig Minuten eine Besprechung.«
»Dann später, gegen fünf. Es gibt da ein Lokal, das heißt The Monkey Tree, in Wanchai, an der Gloucester …«
»Ich kenne es. Ich werde dort sein.«
John Nelson legte auf. Ihm blieb jetzt nichts anderes
übrig, als ins Büro zurückzugehen. Er konnte nicht drei Stunden wegbleiben, nicht nach seinem Gespräch mit Staatssekretär Edward McAllister; eine so lange Abwesenheit würde auffallen. Er hatte von McAllister gehört; der Staatssekretär hatte sieben Jahre in Hongkong verbracht und war nur wenige Monate vor Nelsons Eintreffen weggegangen. Warum war er zurückgekehrt? Warum gab es in Victoria Peak ein abgeschottetes Haus, in dem plötzlich Botschafter Havilland wohnte? Und – vor allem – warum war Catherine Staples so verängstigt? Er verdankte Catherine sein Leben, aber er musste ein paar Antworten wissen, er musste eine Entscheidung treffen.
Lin Wenzu hatte seine Quellen so gut wie ausgeschöpft. Nur eine hatte ihn etwas nachdenklich gemacht. Inspector Ian Ballantyne antwortete so, wie er das immer tat, mit Gegenfragen auf seine Fragen, anstatt selbst präzise zu antworten. Das war zum Verrücktwerden, weil man nie wusste, ob der ehemalige Scotland-Yard-Mann über ein bestimmtes Thema etwas wusste oder nicht. In diesem Fall über einen amerikanischen Attaché namens John Nelson.
»Ich bin dem Burschen ein paarmal begegnet«, hatte Ballantyne gesagt. »Ein heller Kopf. Der spricht Ihre Sprache, wussten Sie das? Verdammt wenige von uns konnten das, selbst während der Opiumkriege. Interessante Geschichtsperiode, nicht wahr, Major?«
»Die Opiumkriege? Ich habe von dem Attaché gesprochen, John Nelson.«
»Oh, besteht da eine Verbindung?«
»Womit, Inspector?«
»Den Opiumkriegen.«
»Wenn das der Fall wäre, müsste er hundertfünfzig Jahre alt sein, und in seiner Akte steht zweiunddreißig.«
»Wirklich? So jung, wie?«
Aber Ballantyne hatte ein paar Kunstpausen zu viel gemacht, als dass Lin zufrieden gewesen wäre. Trotzdem, falls er etwas wusste, hatte er nicht vor, es zu sagen. Alle anderen, angefangen bei der Polizei von Hongkong und Kowloon,
bis zu den ›Spezialisten‹, die gegen Bezahlung Informationen aus dem amerikanischen Konsulat beschafften, lieferten Nelson ein so sauberes Zeugnis, dass es schon fast verdächtig wirkte. Wenn Nelson eine
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