Das Bourne Imperium
viel erfahren … zu viel vermutet.«
»Selbstverständlich, Herr Minister.«
»Und nehmen Sie Verbindung mit dem Mann in Macao auf. Ich habe Anweisungen für ihn, die sofort auszuführen sind, während in Kowloon noch die Feuer den Himmel erleuchten. Ich will ihn hier haben.«
Während der Offizier auf den toten Kurier zuging, erhob Sheng sich plötzlich aus dem Stuhl und ging langsam an den Teich. Die Lampen unter dem Wasser beleuchteten sein Gesicht. Als er wieder zu sprechen begann, war seine Stimme ausdruckslos und doch bestimmt.
»Bald ganz Hongkong und seine Territorien«, sagte er und starrte auf eine Wasserlilie. »Und bald darauf ganz China.«
»Sie führen, Herr Minister«, sagte der Offizier, und seine Augen musterten Sheng voll Hingabe. »Wir folgen Ihnen. Der Marsch, den Sie uns versprochen haben, hat begonnen. Wir kehren zu unserer Mutter zurück, und das Land wird wieder uns gehören.«
»Ja, das wird es«, bestätigte Sheng Chou Yang. »Man kann es uns nicht verwehren. Mir kann man es nicht verwehren.«
20.
Am Mittag jenes paralysierenden Tages, als Kai-tak noch lediglich ein Flughafen gewesen war und nicht Schauplatz eines geplanten Meuchelmordes, hatte Botschafter Havilland der verblüfften Catherine Staples die groben Umrisse der Verschwörung Shengs, die in der Kuomintang ihre Wurzeln hatte, beschrieben. Zielsetzung: ein Konsortium von Taipans mit einer zentralen Führerpersönlichkeit, deren Sohn Sheng war, wollte die Macht in Hongkong übernehmen und die Kolonie in ein Finanzimperium der Verschwörer verwandeln. Unvermeidliche Folge: Die Verschwörung würde scheitern, und die Volksrepublik würde wie ein wütender Gigant zuschlagen und in Hongkong einmarschieren, die Verträge zerreißen und den ganzen Fernen Osten in tiefstes Chaos stürzen. Catherine hatte Beweise verlangt und hatte schließlich um 14.15 Uhr das umfangreiche, streng geheime Dossier des Außenministeriums über Sheng Chou Yang gelesen, war aber skeptisch geblieben, da der oder die Autoren nicht genannt wurden. Um 15.30 Uhr hatte man sie in den Funkraum geführt, und ein Mann namens Reilly, der zum Nationalen Sicherheitsrat in Washington gehörte, hatte ihr über Satellit und ein Zerhackertelefon eine Reihe von »Fakten« vermittelt.
»Sie sind nur eine Stimme, Mr. Reilly«, hatte Staples gesagt. »Woher soll ich wissen, dass Sie nicht unten in Wanchai sitzen?«
Und in dem Augenblick war in der Leitung ein Klicken zu hören gewesen, und eine Stimme, die Catherine und die Welt nur zu gut kannten, sprach zu ihr. »Hier spricht der Präsident der Vereinigten Staaten, Mrs. Staples. Wenn Sie daran zweifeln, würde ich Ihnen empfehlen, Ihr Konsulat anzurufen. Bitten Sie, dass man über Diplomatentelefon
mit dem Weißen Haus Verbindung aufnimmt, und verlangen Sie, dass dieses Gespräch bestätigt wird. Ich warte so lange. Sie werden die Bestätigung bekommen. Im Augenblick habe ich nichts Besseres zu tun – nichts, was lebenswichtiger wäre.«
Catherine hatte den Kopf geschüttelt und kurz die Augen geschlossen und dann leise gesagt: »Ich glaube Ihnen, Herr Präsident.«
»Vergessen Sie meine Person und glauben Sie das, was Sie gehört haben. Es ist die Wahrheit.«
»Es ist so unglaublich – so unvorstellbar .«
»Ich bin in diesen Dingen kein Experte, Mrs. Staples, und habe auch nie behauptet, ein solcher zu sein, aber das Trojanische Pferd war seinerzeit auch nicht sehr glaubwürdig. Nun ist es möglich, dass das eine Legende war und die Frau des Menelaos nur das Fantasiegebilde eines Märchenerzählers am Lagerfeuer, aber das Konzept ist zum Symbol eines Feindes geworden, der seinen Gegner von innen heraus zerstört.«
»Menelaos …?«
»Sie sollten den Medien nicht glauben – ich habe schon ein oder zwei Bücher gelesen. Aber glauben Sie unseren Leuten, Mrs. Staples. Wir brauchen Sie. Ich werde Ihren Premierminister anrufen, falls das hilft, aber ehrlich gesagt, würde ich das lieber nicht tun. Er könnte es für notwendig halten, sich mit anderen zu beraten.«
»Nein, Herr Präsident. Das Wissen muss auf den engsten Kreis beschränkt bleiben. Darauf kommt es jetzt an. Allmählich verstehe ich Botschafter Havilland.«
»Da haben Sie mir etwas voraus. Ich verstehe ihn nicht immer.«
»Vielleicht ist es so besser, Sir.«
Um 15.58 Uhr erreichte das abgeschottete Haus in Victoria Peak ein Anruf – höchste Priorität –, aber er galt weder dem Botschafter noch Staatssekretär McAllister. Er war
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