Das Bourne Imperium
gehörte augenblicklich ein Mann, der die wirtschaftliche Zukunft der Volksrepublik formte. Die Weltpresse bezeichnete ihn nur als Sheng, und jeder wusste, wofür dieser Name stand. Sein voller Name lautete Sheng Chou Yang.
Jetzt raste eine braune Limousine auf die mächtige graue Mauer zu, näherte sich Tor 6, wo der Fahrer plötzlich auf
die Bremse trat, worauf der Wagen schräg in die Einfahrt schlitterte und nur wenige Zentimeter vor der in grellem Orange lackierten Schranke zum Stillstand kam, die das Licht seiner Scheinwerfer reflektierte. Ein Posten trat auf den Wagen zu.
»Wen wollen Sie sehen und wie heißen Sie? Ich brauche einen Passierschein.«
»Minister Sheng«, sagte der Fahrer. »Mein Name ist nicht wichtig und meine Papiere auch nicht. Bitte verständigen Sie die Wohnung des Ministers, dass sein Abgesandter von Kowloon hier ist.«
Der Soldat zuckte die Achseln. Antworten dieser Art waren am Jadeturmberg durchaus nicht ungewöhnlich, und weitere Fragen hätten möglicherweise zu einer Versetzung aus diesem Paradies führen können, wo selbst die Essensüberreste jegliche Fantasie überstiegen und man für gehorsamen Dienst manchmal sogar ausländisches Bier bekam. Der Posten ging also zum Telefon. Der Besucher musste angemessen empfangen werden. Alles andere könnte dazu führen, dass man auf einem abgelegenen Feld niederknien musste und eine Kugel ins Genick bekam. In seinem Wachhäuschen wählte der Posten die Nummer der Villa Sheng Chou Yang.
»Einlassen. Schnell! «
Ohne zu der Limousine zurückzukehren, drückte der Posten einen Knopf, worauf die orangefarbene Schranke in die Höhe ging. Der Wagen raste herein, viel zu schnell für den Kiesweg, dachte der Posten. Der Abgesandte hatte es offenbar sehr eilig.
»Minister Sheng ist im Garten«, sagte der Armeeoffizier an der Tür und blickte mit unruhigem Blick an dem Besucher vorbei in die Dunkelheit. »Gehen Sie zu ihm.«
Der Abgesandte eilte durch das mit rotem Lackmobiliar gefüllte Vorderzimmer zu einem Bogen, hinter dem man einen von Mauern umgebenen Garten erkennen konnte, in dem vier Lilienteiche von gelben Unterwasserscheinwerfern beleuchtet waren. Zwei sich schneidende Kieswege bildeten ein X zwischen den Teichen, und am Ende eines jeden
Weges waren niedrige schwarze Korbsessel und Tische aufgestellt. Am östlichen Weg, dicht an der Ziegelmauer, saß ganz allein ein mittelgroßer, schlanker Mann mit kurz gestutztem, ergrautem Haar und hageren Gesichtszügen. Wenn an ihm etwas war, das einen auf den ersten Blick verblüffte, so waren das seine Augen, denn es waren die dunklen Augen eines Toten, mit Lidern, die sich keinen Augenblick lang bewegten. Im Gegensatz dazu waren sie aber zugleich auch die Augen eines Eiferers, dessen blinde Ergebenheit der Kern seiner Stärke war; seine Pupillen waren wie Blitze. Das waren die Augen Sheng Chou Yangs, und im Augenblick loderten sie.
»Ich will es wissen !«, brüllte er und krampfte sich mit beiden Händen an den schwarzen Armlehnen seines Sessels fest. »Wer tut so etwas?«
»Es ist alles Lüge, Herr Minister! Wir haben uns bei unseren Leuten in Tel Aviv erkundigt. Es gibt keinen Mann, auf den die Beschreibung passt. Es gibt keinen Agenten des Mossad in Kowloon! Alles Lüge !«
»Was haben Sie unternommen?«
»Es ist höchst verwirrend …«
»Was Sie unternommen haben?«
»Wir sind auf der Spur eines Engländers im Mongkok, über den anscheinend keiner etwas weiß.«
»Narren und Idioten ! Idioten und Narren ! Mit wem haben Sie gesprochen?«
»Mit unserem Spitzenmann bei der Polizei von Kowloon. Er ist verwirrt, und ich muss leider sagen, dass er meiner Ansicht nach Angst hat. Er hat einige Male Macao erwähnt, und seine Stimme hat mir dabei gar nicht gefallen.«
»Er ist tot.«
»Ich werde Ihre Instruktionen weitergeben.«
»Ich fürchte, das können Sie nicht.« Sheng winkte mit der linken Hand, während die rechte im Schatten unter den niedrigen Tisch griff. »Kommen Sie und erweisen Sie der Kuomintang Ihren Gehorsam«, befahl er.
Der Abgesandte trat auf den Minister zu. Er verbeugte
sich tief und griff nach der linken Hand des großen Mannes. Sheng hob die rechte Hand. Sie hielt eine Pistole.
Dann ertönte eine Explosion und blies den Kopf des Abgesandten weg. Fragmente seines Schädels fielen in die Lilienteiche. Der Armeeoffizier erschien unter dem Bogen, während die Leiche auf den weißen Kies fiel.
»Schaffen Sie ihn weg«, befahl Sheng. »Er hat zu viel gehört, zu
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