Das Buch Der 1000 Wunder
gewichtigsten Zeugen keine Übereinstimmung über die Frage, ob Mademoiselle überhaupt eine Schönheit gewesen.
Ganz schroff stehen sich die Zeugnisse von Guyon de Sardières und von Tallemant gegenüber. Denn der erste sagt: »Ninon war schön und war es immer; ihre Schönheit war vollkommen!«, der andere: »Viel Schönheit besaß sie niemals, aber allzeit viel Reiz (
beaucoup d'agréments
).«
Stellt man die überlieferten Nachrichten über Ninons Erscheinung unbefangen zusammen, so geben sie folgendes Mosaikbild. Hochgewachsen und schlank, war ihre Gestalt von vollkommen harmonischen Verhältnissen, ihre Formen von mäßiger Fülle, die Linien des Kopfs oval, Nacken und Brust von blendender Weiße. Der Reichtum ihres kastanienbraunen Haars kontrastierte schön mit dem Tiefschwarz ihrer geschweiften Brauen über großen, dunkeln Augen, deren 382 strahlenwerfendes Feuer durch lange Wimpern verschleiert ward. Das Lächeln ihres rosigen Mundes war von unbeschreiblicher Magie, noch erhöht durch einen Lazertenzug des Spotts, der sich allerliebst um die Mundwinkel schlängelte.
Zu ihren erklärten Bewunderern gehörten der Cardinal Richelieu, Coligny, Vilarceaux, der Marquis von Sévigné, der Prinz von Condé, der Herzog von Larochefoucauld, der Marschall d'Albret, der Marschall d'Estrées. Diese und zahllose andere haben sie als ein wahres Mirakel unmittelbarer Wirkung gepriesen.
273. Tullia d'Aragona
Quelle: Casimir von Chledowski: »Rom«, erster Band.
Ein Jahrhundert vor der Ninon de Lenclos stand die blendende Tullia im Brennpunkt des Liebesfeuers einer Großstadt. Sie war die Tochter eines Kardinals, stammte aus Siena und verlegte später den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit nach Rom. Im Nebenberuf war sie Verskünstlerin.
In der Galerie zu Brescia befindet sich ein schönes Portrait der Tullia von Alessandro Bonvicino, der sie als Zwanzigjährige gemalt hat. Von einem durch Lorbeerzweige belebten Hintergrund hebt sich ihre Gestalt mit dem Dichterszepter ab, ein roter pelzgefütterter Mantel deckt die Schultern, in die Haare sind Perlen geflochten. Eine merkwürdige Kühle spricht aus den Augen, eine gemachte Ruhe liegt über dem ganzen Gesicht. Sie sieht wie eine raffinierte, gefährliche Kurtisane aus, nicht wie eine begabte Dichterin.
Aus den Berichten der Zeitgenossen geht klar hervor, daß sie damals den Kennern als der unüberbietbare Gipfel der Schönheit und Anmut erschien. Und gerade die auf dem Bild so kühlen Augen schienen wahre Feuersbrünste in den Herzen ihrer Verehrer anzuzünden. Von diesen Augen singt der Dichter Muzio, indem er ihre Leuchtkraft über Sternenglanz und Sonnenlicht erhebt:
. . . occhi belli,
occhi leggiadri, occhi amorosi e cari,
più que le stelle belle e più que il sole
Auch der Kardinal Ippolito de Medici hat sie und besonders ihr blondes Haar angesungen. Das einzige Gedicht dieses Medici, das sich erhalten hat, gilt der Tullia d'Aragona, die im übrigen in einer wahrhaften Hochflut von Sonetten, zumal aus den Kreisen der Gelehrten, lebte. Sie bedeutete unbedingt das Schönheitsideal der damaligen Akademiker. In einem von ihr verfaßten szenischen Dialog, betitelt »
Dell' infinità d'amore
«, tritt sie selbst als Hauptperson 383 auf, und es unterliegt keinem Zweifel, daß sie sich im Thema unendlicher Liebe als unbestrittene Sachverständige fühlen durfte.
274. Madame Roland
Quelle: Johannes Scherr , Abhandlung: »Gefängnisleben zur Schreckenszeit«.
Manon Roland, eine der tragischen Heldinnen der großen französischen Revolution, galt vermöge ihres persönlichen Zaubers als die „Aspasia der Girondisten und war mit ihrem Geist die Prophetin, mit ihrer Anmut das Entzücken jener Wolkenwandler von Schönfühlern und Schönrednern”. In ihren Denkwürdigkeiten hat sie ihr Selbstporträt entworfen, das in einzelnen bedeutenden Zügen hier festgehalten werden möge:
„Als ich ausgewachsen, war ich ungefähr fünf Fuß hoch. Meine Beine waren wohlgeformt, die Füße hübsch gebaut, die Hüften sehr gewölbt, die Schultern zurückgezogen, die Brust war breit und hochbusig, der Gang leicht, anmutig und rasch. Prüft man jeden Zug meines Gesichts einzeln, so darf man billig fragen: wo ist denn die Schönheit? Mein Mund ist ein wenig groß, und es gibt tausend schönere; allein keiner weiß zärtlicher und verführerischer zu lächeln. Mein Auge, ernst und stolz, hat zuweilen etwas Furchtbares, weit öfter aber ist es liebkosend und immer anziehend.
Die
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