Das Buch Der 1000 Wunder
zuschanden. Aber der Begriff des »Pflanzenauges« wird aus der Wissenschaft – so abenteuerlich er uns auch heute noch erscheinen mag – nicht mehr verschwinden, ja er scheint schon in unseren Tagen zu einem ganz außergewöhnlich tiefen Einblick in das Innenleben der Pflanze neue Zugänge zu eröffnen. In dem ausgezeichneten Zentralorgan botanischer Forschung »Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft« veröffentlichte Haberlandt eine merkwürdige neue Beobachtung über verwickelte Lichtsinnesorgane gewisser niederer Pflanzen.
Die Selanginellen haben an 500 verschiedene Formen, die in der Treibhausluft der Tropenwälder sprießen. Sie sind Schattenpflanzen, daher auf rasche und möglichst vorteilhafte Ausnützung des Lichts angewiesen. Das Bedürfnis erzeugte in ihnen lichtempfindliche Apparate von seltener Vollkommenheit. Die Epidermiszellen ihrer Blätter enthalten ausnahmsweise Blattgrün: ein grünes Becherchen, das im Hintergrund der Zelle sitzt und sich gemächlich von dem großen Reflektor bescheinen läßt, den die mächtig vorgewölbte Außenwand der Zelle vorstellt. Dieser Chloroplast liebt das Licht derart, daß er ihm sogar nachläuft .
Scheint die Sonne seitwärts auf das Blatt, so daß sich der helle Reflex der Spiegelscheibe verschob, dann verwandelt sich der Chloroplast in ein Wesen nach Art der Amöben oder der grünen Algen. In spontaner Beweglichkeit kriecht er in den hellen Lichtfleck, dort setzt er sich wieder breit hin und sonnt sich . . .
Haberlandt entdeckte, daß diese Chloroplasten eine Art Netzhaut 106 übergezogen haben. Eine derbe plasmatische Haut, die sich nur auf der dem Licht zugewandten Seite findet. Diese Plasmahaut nimmt an den Wanderungen des Blattgrüns teil, nur wo sie vorhanden ist, wird es so hochgradig lichtempfindlich. Was soll sie denn also anders sein als das Urbild der Retina (also der Netzhaut des animalischen Auges), der gleiche Eigenschaften zukommen!”
80. Das wirbelnde Meerschweinchen
Quelle: Professor Dr. E. Mach: »Die Analyse der Empfindungen«. Verlag Gustav Fischer, Jena, 1906.
Die Raumfrage, so gefaßt: läßt sich der Raum als solcher sinnlich wahrnehmen? bildet eins der schwierigsten Probleme der Lebenskunde und leitet weiterhin in die tiefsten Gründe der Erkenntnistheorie.
Es handelt sich hier nicht um abtastbare, den Raum erfüllende Körper, sondern um den Raum selbst, der nach bekannter Lehrmeinung eine Denkform »
a priori
«, eine Vorstellung außerhalb der Erfahrung darstellt.
Stünde dies unwiderleglich fest, so käme ein menschlicher, ein animalischer Sinn als direkter Empfänger und Wahrnehmer des absoluten Raums gar nicht in Betracht. Es ist aber im Gegenteil nachgewiesen worden, daß dieser Sinn existiert, und zwar auf Grund eines Experiments im Forschungsgebiet des großen Physikers Ernst Mach.
Dieser von Cyon angestellte Versuch führt zu einem ganz verblüffenden Ergebnis: jener Sinn ist nicht – wie man zunächst vermuten könnte – im Auge, sondern im Ohr lokalisiert!
Rüsten wir uns zu diesem Versuch. Wir nehmen vier Meerschweinchen, setzen sie in einen Rotationsapparat und wirbeln sie mit ungeheurer Geschwindigkeit im Kreis umher. Von diesen vier Geschöpfen ist das eine ganz gesund und normal; beim zweiten wurde vorher ein bestimmter Teil im rechten Ohr, das sogenannte »Labyrinth«, zerstört, beim dritten wurde dieselbe Operation am linken Ohr vorgenommen, und dem vierten fehlen beide Labyrinthe.
Die Tiere werden samt ihrem Futter in die mit Glaswänden umgebene Zentrifuge gesperrt und mehreren hundert Umdrehungen in der Minute ausgesetzt.
Und nun begibt sich das Erstaunliche.
Das doppelseitig operierte Tier nimmt von der Drehung gar keine Notiz, frißt vielmehr ruhig und unverdrossen. Das linksseitig operierte hört bei Rechtsdrehung zu fressen auf, läßt sich's aber bei Linksdrehung gut schmecken, das rechtsseitig operierte verhält sich umgekehrt. Nur das ganz gesunde Meerschweinchen protestiert gegen jede Nahrungsaufnahme, solange überhaupt gedreht 107 wird. Dieses hat sich die Raumempfindung bewahrt, während seine Genossen teilweise oder gänzlich raumtaub gemacht worden sind.
Zur Beobachtung des experimentellen Vorgangs gehört eine Spiegelvorrichtung, die durch Gegenrotation die Bewegung umkehrt. Trotz der enormen Kreisbewegung erscheinen die Meerschweinchen mit ihrer Nahrung, als ob sie durchaus in Ruhe befindlich wären. (Der Spiegel arbeitet so vollkommen synchron, daß man durch ihn eine
Weitere Kostenlose Bücher