Das Buch Der 1000 Wunder
Protoplasma der Protozoen, wenn es nicht zeitweise eine Verjüngung durch Verschmelzung mit einer andern Zelle erfahre, allmählich an Altersschwäche zugrunde gehen müsse. Maupas züchtete Exemplare von dem Protozoon Stylonychia in Nährflüssigkeit und isolierte jedesmal die durch Teilung neu entstandene Zelle von allen übrigen, so daß jede Konjugation (Vereinigung) ausgeschlossen war. Er erhielt auf diese Weise zahlreiche Generationen von Zellen, beobachtete aber, daß in der 200. oder 220. Generation die Teilungsfähigkeit nachließ, und das Protozoon an Altersschwäche starb.
Diese Versuche sind neuerdings von Woodruff wiederholt worden, und zwar mit ganz anderem Ergebnis. Er arbeitete mit der Wimperinfusorie Paramaecium aurelia, die sich unter natürlichen Bedingungen längere Zeit durch Vierteilung vermehrt, um dann gelegentlich Verschmelzung zweier Zellen herbeizuführen. Bei Ausschluß jeder Konjugation brachte es Woodruff nun im Lauf von 5½ Jahren auf 3340 Generationen. Durchschnittlich erfolgten in je 48 Stunden drei Teilungen. Die Teilungsgeschwindigkeit war Schwankungen 111 unterworfen, doch wurden nie Perioden besonderer Schwäche beobachtet, und die jüngste Generation war noch ebenso kräftig wie die Stammmutter.
Nach diesem Resultat glaubt sich Woodruff zu der Annahme berechtigt, daß das Protoplasma einer einzigen Zelle unter günstigen äußeren Umständen ohne Hilfe von Konjugation imstande ist, sich unbegrenzt fortzupflanzen, und daß Altern und Befruchtungsbedürfnis nicht Grundeigenschaften der lebenden Substanz sind.”
Danach wären Protozoen also unsterblich. (Siehe auch den folgenden Abschnitt.)
85. Das vielfach zerteilte Individuum
Quelle: Wilhelm Fließ: »Der Ablauf des Lebens«. Verlag Franz Deutecke, Leipzig und Wien, 1906. Z.
Die letzte Schlußfolgerung aus dem im vorigen Abschnitt dargestellten Versuch Woodruffs mit dem Paramaecium wird, außer von Maupas, auch von Andern scharf bestritten. Insbesondere verwirft sie der Biologe Dr. Wilhelm Fließ , weil sie einem von ihm erkannten Grundgesetz des Lebens widerspricht. Nach Fließ ist in jedem Individuum männliche und weibliche Substanz enthalten, beim wahren Zeugungsakt handelt es sich stets um das Aufeinanderwirken von männlicher und weiblicher Substanz. Diese Mischung ist für die Fortpflanzung notwendig. Sie kann auf die Dauer nicht entbehrt werden.
Das gilt für die Gesamtheit des Tier- und Pflanzenreichs ohne Ausnahme. Freilich können sich längere oder kürzere Perioden von ungeschlechtlicher Fortpflanzung zwischen die Zeugungsakte einschieben. Aber diese letzten sind immer notwendig, wenn wirklich neue Generationen entstehen sollen. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung ist, nach Fließ, nichts anderes, als die Ausbreitung desselben Individiums , wie das Wachstum und auch das Regenerationsvermögen, das wir noch bei manchen höheren Tieren antreffen. Sie teilt mit der Parthenogenese, der einseitig weiblichen Zeugung, die Unfähigkeit, eine Art dauernd zu erhalten.
Für seine Meinung, daß wirklich alle Ableger einer Pflanze, also alle ungeschlechtlich hervorgebrachten Abkömmlinge, mit der aus einem befruchteten Keim erwachsenen Mutterpflanze ein Individuum bilden – im Widerspruch zu der eigentlichen Bedeutung des Worts Individuum – führt Fließ einige wunderbare Beweise an.
„Naturfreunde haben seit Jahren bemerkt und Ochsenius hat es im »Prometheus« beschrieben, daß unser Alleebaum, die aus dem Orient stammende Pyramidenpappel, kränkelt und von der Spitze her verdorrt. Und das tut sie gleichmäßig 112 in ganz Deutschland, unabhängig von dem sehr verschiedenen Boden, auf dem sie gepflanzt ist, und unabhängig von Insektenfraß u. dgl. Für diese Erscheinung des allgemeinen Niedergangs der Pappeln hat Ochsenius die Tatsache verantwortlich gemacht, daß alle unsere Pappeln nur männlichen Geschlechts aus Stecklingen gezogen sind und sämtlich direkt oder indirekt von einem Mutterbaum abstammen, der vor etwa hundert Jahren aus dem Orient importiert und in den Park von Wörlitz verpflanzt wurde.
Da die Pappel im Verhältnis zu anderen Bäumen eine nur geringe Lebenszeit besitzt – Eichen werden über tausend, Mammutbäume über fünftausend Jahre alt – so führt Ochsenius diese Erscheinung auf das natürliche Altern und Absterben zurück. Die Stammpflanze ist greisenhaft geworden, und alle ihre Schößlinge werden es zu gleicher Zeit. Denn sie sind nicht ihre Kinder, sie verdanken nicht einem
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