Das Buch Der 1000 Wunder
1907.
In einem norddeutschen Dorf wurde eines Tags eine verheiratete Frau vermißt. Etwa drei Tage später sagte der Sohn der Frau, er hätte geträumt, daß seine Mutter zwischen den Ortschaften A. und B. ermordet worden sei. Der Knabe teilte diesen Traum mehreren Personen mit, und diese erzählten ihn weiter. Die Leiche wurde gesucht, und man fand sie etwas abseits von der Landstraße zwischen A. und B., d. h. da, wo der Knabe sie im Traum geschaut hatte. Die Behörde, welche die Ermittelungen leitete, wendete sich nun an den bekannten Psychologen Dr. Albert Moll , um seinen Rat für die Aufklärung dieser seltsamen Angelegenheit zu erbitten. Der Beamte, der den Gelehrten aufsuchte, erklärte in sehr objektiver Weise, der Behörde käme die Sache unglaubhaft und sehr merkwürdig vor. Um aber auf keinen Fall etwas zu versäumen, wolle sie einen Sachverständigen um Rat fragen, und man bäte Moll um seine Meinung.
Äußerst interessant war, was sich nun an Einzelheiten ergab. Zunächst stellte sich heraus, daß der Knabe den Traum selbst ganz verschieden erzählt hatte. So hatte er im Traum auch die Mörder gesehen, aber er beschrieb sie bald so, bald so, selbst ihre Zahl gab er verschieden an. Auch die Art der Ermordung schilderte er ganz verschieden, und das einzige, wobei er blieb, war, daß er im Traum die Ermordung seiner Mutter zwischen den Ortschaften A. und B. gesehen hätte.
Aber auch dieses Rätsel löste sich sehr einfach.
Man hatte sich in Gegenwart des Knaben bereits am Tag vorher darüber unterhalten, daß die Frau nur zwischen A. und B. ermordet sein konnte. Es ergab sich dies durch die Ermittelungen als so sicher, daß, noch ehe der Traum des Knaben bekannt geworden war, Leute sich auf den Weg begeben hatten, um die Leiche zwischen A. und B. zu suchen.
Alle anderen Einzelheiten des Traums, in deren Wiedergabe sich große Widersprüche fanden, erwiesen sich als falsch. Trotzdem wurde sofort erzählt, es hätte bei dem Knaben im Traum ein Hellsehen stattgefunden; die Behörde müsse nach dieser Richtung weiter forschen. Es zeigte sich dabei die Erfahrung, 132 daß, wenn bei einer Prophezeiung ein unbedeutender Punkt stimmt, alles andere von wundersüchtigen Menschen ohne weiteres als richtig hingenommen wird, und zwar ohne Prüfung.
Jedenfalls hatte sich das ganze Wunder auf folgende Tatsache reduziert: der Knabe hatte einen Traum, in dem er etwas träumte, was er am Tag vorher schon gehört hatte. Alles andere war Phantasie.
103. Ein Besuch Virgils
Quelle: Musäus: »Der Geisterseher Swedenborg«, Weimar, 1863. Z.
Swedenborg (siehe auch Abschnitt 101) unterhielt fortwährend Verkehr mit Geistern. Ihm erschienen nicht nur Personen, die er noch lebend gekannt hatte, sondern er unterhielt sich auch mit den Geistern längst verstorbener bedeutender Männer. Swedenborgs Biograph Musäus berichtet besonders ausführlich von einem Besuch Virgils bei dem Seher, dem zum Teil ein Zeuge beiwohnte:
„Einst während Swedenborgs Aufenthalt in London bekam er den Besuch eines jungen Magisters aus Finnland, des später wegen seiner ausgezeichneten Gelehrsamkeit bekannten Professors Porthan zu Abo. Dieser, obgleich weit entfernt, ein Swedenborgianer zu sein, hatte, teils aus Neugierde, den wunderbaren Mann zu sehen, teils aus dankbarer Achtung getrieben, sich in Swedenborgs Vorzimmer eingestellt, wo er von seinem Bedienten ersucht wurde, zu warten, weil sein Herr einen andern Fremden bei sich habe.
Porthan hatte zufällig seinen Platz nahe bei der Tür, die zu dem innern Zimmer führte, eingenommen, und von diesem aus hörte er, daß eine lebhafte Konversation gehalten wurde, die, während man auf- und abging, dann und wann abgebrochen und von ihm weniger zusammenhängend aufgefaßt wurde. Er vernahm jedoch deutlich, daß das Gespräch in lateinischer Sprache geführt wurde und die römischen Antiquitäten betraf, einen Gegenstand, der das größte Interesse für ihn hatte.
Als er eine Zeit lang zugehört hatte, wurde ihm gar wunderlich zu Mut, denn er hörte die ganze Zeit hindurch nur eine einzige Stimme, von längeren oder kürzeren Pausen unterbrochen, wobei die Stimme von irgend Jemandem eine Antwort bekommen zu haben schien, in der sie immerfort Veranlassung zu neuen Fragen fand.
Er nahm indessen als gewiß an, daß derjenige, den er hörte, Swedenborg war, der auch höchst zufrieden mit seinem Gast schien. Wer übrigens dieser wäre, konnte Porthan zwar nicht erforschen, aber doch deutlich
Weitere Kostenlose Bücher