Das Buch Der 1000 Wunder
X. ist aber für Y. ein Symbol, bedeutet entweder einen Buchstaben, eine Zahl, eine Silbe oder ein Wort. Und dies haben die Beiden nicht nur Monate sondern Jahre miteinander eingeübt, 140 sodaß der, welcher nur den Schlußstein sieht, sich garnicht zu denken vermag, daß durch Gedächtnisübung solche Resultate erzielt werden können.
Man denke aber nur an das Erlernen einer neuen Sprache, der Stenographie, einer Chiffreschrift, und man wird ohne weiteres erkennen, wie durch Aufstellung eines sinnreichen Schlüssels und lange Übung eine Fähigkeit erreicht werden kann, die andern abgeht. Noch deutlicher wird der Vergleich, wenn wir an die Taubstummensprache denken und berücksichtigen, daß es sich bei der Verständigung zwischen den beiden Versuchspersonen fast immer um verhältnismäßig einfache Dinge handelt. Ebenso wie Taubstumme sich aber durch Zeichen verständigen, welche die normalen Menschen garnicht verstehen, ebenso geschieht es bei den beiden Zancigs und ihren Spezialkollegen; nur sind hier die Zeichen viel feiner.
Das auffallendste bleibt freilich das oben beschriebene Experiment, wo einerseits die beiden Versuchspersonen, Herr und Frau Zancig, von einander durch eine spanische Wand getrennt sind, und andererseits Fragen nicht gestellt werden.
Die Lösung beruht auf einem gleichartigen rhythmischen Zählen .
Musikalische Leute, deren rhythmisches Gefühl gut ausgebildet ist, sind imstande, entsprechend dem vorgeschriebenen Tempo gleichmäßig innerlich zu zählen, sodaß sie innerhalb eines kleinen Zeitraums, wenn sie gleichzeitig zu zählen anfangen, auch dieselbe Zahl erreichen.
Dies braucht man nur auf das obige Experiment mit den Ziffern zu übertragen. Die vierstellige Zahl wird selbstverständlich in 4 Ziffern und zwar 9, 7, 8, 7, zerlegt. Der draußenstehende Zancig zählt zunächst bis 9. Für den Beginn des Zählens wird ein unscheinbares und von den Zuhörern nicht beachtetes Signal gegeben, z. B. ein leichtes Hüsteln, ein leichtes Auftreten mit dem Fuß oder ähnliches. Für das Ende des Zählens ist ebenfalls ein Signal verabredet. Infolgedessen ist Frau Zancig hinter der Wand imstande, anzugeben, daß die erste Zahl eine 9 ist; mit jeder weiteren Ziffer wird es ebenso gemacht, sodaß 4-, 6- und 7stellige Zahlen, ohne daß ein Wort gesprochen wird, vermittelt werden können.
In ganz ähnlicher Weise geschieht die Vermittelung von Worten. A bedeutet dann 1, G 7, R 18 usw. Es ist ganz klar, daß mit einem solchen rhythmischen Zählen und ganz unscheinbaren Anfangs- und Endsignalen sich die beiden vollständig verständigen können. Das Experiment wird daher nie gelingen, wenn etwa der Versuchsperson die Ohren wirksam verstopft werden. Dies hat auch Frau Zancig bei einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht gestattet, und es wird auch von anderen nicht erlaubt werden.
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107. Die Lenormand
Quelle: Karl Kiesewetter: »Geschichte des neueren Okkultismus«. Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig, 1891. Z.
Unter den Wahrsagerinnen aller Zeiten ragt als eine ganz besondere Erscheinung Marie Anne Lenormand, die Sibylle aus der Rue Touron, hervor, die in einer der größten Epochen menschlicher Geschichte lebte, nämlich zur Zeit der französischen Revolution und des Auftretens Napoleons. Sie blieb von keinem der großen Ereignisse unberührt, ja man kann sagen, daß sie einen nicht unwesentlichen Einfluß darauf geübt hat. Denn die größten und höchstgestellten Männer Europas pflegten bei ihrer Anwesenheit in Paris ihr Kabinett aufzusuchen.
Die Lenormand wurde im Jahre 1772 zu Alençon geboren und im Kloster der Benediktinerinnen erzogen. Schon mit sieben Jahren machte sie eine zutreffende Prophezeiung. Als nämlich der Stuhl der Äbtissin des Klosters leer war, sagte sie ganz genau voraus, wer die neue Würdenträgerin sein würde. Im Jahre 1789 soll sie bereits den Zusammenbruch der Monarchie mit allen seinen Folgen und die entsetzlichen Ereignisse der Revolution vorausgesagt haben. Den Schreckensmännern Robespierre, St. Just und Marat verkündete sie ihr tragisches Schicksal. Murat sagte sie voraus, daß er König werden, aber ein blutiges Ende finden würde.
Der späteren Gemahlin Bonapartes, Josephine Beauharnais, prophezeite sie den Tod ihres ersten Gatten und die Vermählung mit einem Soldaten, der zu den höchsten Würden aufsteigen werde. Josephine wurde durch diese Voraussage umsomehr ergriffen, als ihr schon vor Jahren auf der Insel Martinique von der Negerin
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