Das Buch der Illusionen
Verbindung zustande gekommen ist. In der anderen Richtung funktionierte ihr Telefon jedoch einigermaßen zuverlässig. Am Tag meiner Rückkehr nach Vermont versuchte ich mehrmals vergeblich, sie zu erreichen, und als Alma schließlich um elf Uhr anrief (neun Uhr ihrer Zeit), verabredeten wir, es künftig immer so zu machen. Das heißt, sie sollte mich anrufen, und nicht ich sie. Bei jedem unserer späteren Telefonate vereinbarten wir zum Schluss die Zeit für den nächsten Anruf, und drei Abende hintereinander funktionierte das so reibungslos wie ein Trick in einer Zaubershow. Wir sagten zum Beispiel sieben Uhr, und um zehn vor sieben setzte ich mich in die Küche, schenkte mir einen Tequila ein (wir tranken weiterhin zusammen Tequila, selbst auf so weite Distanz), und Punkt sieben, wenn der Sekundenzeiger der Wanduhr über die Zwölf rückte, klingelte das Telefon. Schon wurde ich abhängig von der Präzision dieser Anrufe. Almas Pünktlichkeit war ein Zeichen des Vertrauens, eine Huldigung an den Grundsatz, dass zwei Menschen sich an verschiedenen Orten befinden und dennoch über nahezu alles einer Meinung sein konnten.
Am vierten Abend jedoch (am fünften nach meiner Abreise aus Tierra del Sueño) rief Alma nicht an. Ich vermutete, dass ihr Telefon streikte, und unternahm daher zunächst einmal gar nichts. Ich blieb einfach sitzen und wartete geduldig auf das Klingeln, aber als das Schweigen sich weitere zwanzig, dreißig Minuten lang hinzog, begann ich, mir Sorgen zu machen. Wenn das Telefon kaputt wäre, hätte sie mir mit einem Fax erklärt, warum ich nichts von ihr hörte. Almas Faxgerät ging über eine andere Leitung, mit der es noch niemals Probleme gegeben hatte. Ich wusste, es war sinnlos, nahm aber trotzdem den Hörer ab und wählte ihre Nummer - mit dem erwarteten negativen Ergebnis. Dann dachte ich, sie habe vielleicht irgendetwas bei Frieda zu erledigen, und wählte die Nummer des Haupthauses; aber auch dort tat sich nichts. Ich rief noch einmal an, nur um sicherzugehen, dass ich mich nicht verwählt hatte, aber wieder nahm niemand ab. Als letzten Ausweg schickte ich ein kurzes Fax. Wo bist du, Alma? Ist alles in Ordnung? Bin verwirrt. Bitte schreib mir (Fax), wenn das Telefon nicht funktioniert. Ich liebe dich, David.
In meinem Haus gab es nur ein Telefon, und das stand in der Küche. Nach oben ins Schlafzimmer gehen wollte ich nicht, weil ich fürchtete, das Klingeln zu überhören, wenn Alma später doch noch anrufen sollte - oder dass ich, falls ich es hörte, nicht rechtzeitig nach unten käme, um abzunehmen. Ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Erst wartete ich stundenlang in der Küche und hoffte, dass irgendetwas passieren würde, und dann, gegen ein Uhr morgens, ging ich ins Wohnzimmer und legte mich aufs Sofa. Es war dasselbe klumpige Ensemble aus Sprungfedern und Polstern, das ich Alma in unserer ersten gemeinsamen Nacht zum Schlafen zurechtgemacht hatte -ein guter Ort für morbide Gedanken. Dort blieb ich bis zum Morgengrauen und quälte mich mit Bildern von Autounfällen, Bränden, medizinischen Notfällen und tödlichen Treppenstürzen. Irgendwann erwachten draußen in den Bäumen die Vögel und fingen zu singen an. Wenig später schlief ich unvermutet ein.
Ich hätte nie gedacht, dass Frieda mit Alma machen würde, was sie mit mir gemacht hatte. Hector hatte gewünscht, dass ich auf der Ranch blieb und mir seine Filme ansah; dann starb er, und Frieda hatte die Sache vereitelt. Hector hatte gewünscht, dass Alma seine Biographie schrieb. Jetzt war er tot - und warum war mir nie in den Sinn gekommen, dass Frieda es womöglich wagen würde, die Veröffentlichung des Buchs zu verhindern? Die Fälle waren nahezu identisch, und doch war mir die Ähnlichkeit nicht aufgefallen, hatte ich die Parallelen einfach nicht wahrgenommen. Der Grund dafür mochte sein, dass die Zahlen so differierten. Die Filme hätte ich mir in vier oder fünf Tagen ansehen können; Alma hatte an ihrem Buch fast sieben Jahre lang gearbeitet. Niemals kam mir der Gedanke, dass jemand so grausam sein könnte, das in sieben Jahren entstandene Werk eines Menschen zu vernichten. Mir fehlte einfach der Mut, so etwas zu denken.
Hätte ich das kommen sehen, hätte ich Alma nicht allein auf der Ranch zurückgelassen. Dann hätte ich sie gezwungen, ihr Manuskript einzupacken, hätte sie an diesem letzten Morgen in den Wagen geschoben und zum Flughafen mitgenommen. Und selbst wenn ich nicht sofort gehandelt
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