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Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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und ihnen zu einem Glanz verhelfen, den sie vorher nicht besessen hatten. Problematisch war nur die Entscheidung, was ich mit den Kartons im Gästezimmer anfangen sollte - denn das sollte Almas Arbeitszimmer werden. Sie würde einen Ort brauchen, an dem sie ihr Buch zu Ende schreiben konnte, einen Ort, an den sie sich zurückziehen konnte, und dieses Zimmer war das einzige, das dafür zur Verfügung stand. Die Möglichkeiten, im Haus etwas einzulagern, waren jedoch ziemlich beschränkt, und da ich weder einen Dachboden noch eine Garage hatte, blieb allein der Keller übrig. Das Problematische an dieser Lösung war der naturbelassene Fußboden. Bei Regen lief jedes Mal Wasser in den Keller, und dort unten abgestellte Kartons würden garantiert nass werden. Um diese Katastrophe zu verhindern, kaufte ich sechsundneunzig Löschbetonsteine und acht große Sperrholzplatten. Als Träger für diese Platten legte ich je drei Steine übereinander und schuf so ein Podest, das deutlich über der Wasserlinie der schlimmsten Überschwemmung lag, die mich jemals heimgesucht hatte. Als zusätzlichen Schutz vor Feuchtigkeit steckte ich die Kartons in starke Plastikmüllsäcke, die ich mit Klebeband verschloss. Das hätte eigentlich reichen müssen, aber dann brauchte ich noch einmal zwei Tage, um den Mut aufzubringen, sie nach unten zu tragen. In diesen Kartons war alles, was mir von meiner Familie geblieben war. Helens Kleider und Röcke. Ihre Haarbürste, ihre Strümpfe. Ihr großer Wintermantel mit der Fellkapuze. Todds Baseballhandschuh und Comic-Hefte. Marcos Puzzles und Plastikmännchen. Die goldene Puderdose mit dem gesprungenen Spiegel. Hooty Tooty, der Teddybär. Die Wahlkampfplakette von Walter Mondale. Ich hatte für diese Dinge keine Verwendung mehr, es aber nie über mich gebracht, sie fortzuwerfen, nicht einmal daran gedacht, sie für irgendeinen guten Zweck zu spenden. Ich wollte nicht, dass Helens Kleider von einer anderen Frau getragen wurden, ich wollte nicht, dass andere Jungen die Red-Sox-Mützen meiner Söhne trugen. Die Sachen in den Keller zu bringen - das war nichts anderes, als sie zu begraben. Es war vielleicht nicht das Ende, aber es war der Anfang vom Ende, der erste Meilenstein auf der Straße des Vergessens. Ein schwieriges Unternehmen, aber nicht halb so schwierig, wie es das Einsteigen ins Flugzeug nach Boston gewesen war. Als ich das Zimmer leer geräumt hatte, fuhr ich nach Brattleboro und suchte für Alma Möbel aus. Ich kaufte ihr einen Mahagoni-Schreibtisch, einen Ledersessel, dessen Sitzfläche sich per Knopfdruck verstellen ließ, einen Aktenschrank aus Eiche und einen schicken bunten Läufer. Das waren die besten Sachen, die in dem Laden zu haben waren, erstklassige Büroausstattung. Die Rechnung belief sich auf über dreitausend Dollar, und ich bezahlte in bar.
    Sie fehlte mir. So impulsiv unser Plan auch gewesen sein mochte, ich hatte doch nie den geringsten Zweifel daran. Blind vor Glück lebte ich weiter und wartete auf den Augenblick, da sie endlich in den Osten kommen konnte, und wenn die Sehnsucht nach ihr mich zu überwältigen drohte, machte ich das Gefrierfach auf und sah mir den Revolver an. Der Revolver war der Beweis, dass Alma schon einmal da gewesen war - und wenn sie einmal da gewesen war, gab es keinen Grund zu der Annahme, dass sie nicht zurückkommen würde. Anfangs kümmerte ich mich nicht darum, dass die Waffe noch geladen war, aber nach zwei, drei Tagen begann mir das Sorgen zu machen. Ich hatte sie in der ganzen Zeit kein einziges Mal angefasst, aber eines Nachmittags nahm ich sie sicherheitshalber doch aus dem Kühlschrank und ging damit in den Wald, wo ich alle sechs Kugeln in den Boden schoss. Der Krach erinnerte an Knallfrösche, an platzende Papiertüten. Wieder im Haus, legte ich den Revolver ins oberste Schubfach des Nachttischs. Töten konnte das Ding jetzt nicht mehr, aber das bedeutete nicht, dass es nun weniger mächtig, weniger gefährlich war. Es verkörperte die Macht eines Gedankens, und sein Anblick erinnerte mich jedes Mal daran, wie kurz davor dieser Gedanke gewesen war, mich zu zerstören.
    Das Telefon in Almas Haus hatte seine Launen, und ich kam nicht mit jedem Anruf zu ihr durch. Die Leitung sei nicht in Ordnung, sagte sie; es gab da irgendeinen Wackelkontakt, der dazu führte, dass ihr Telefon auch dann nicht klingelte, wenn ich nach dem Wählen ihrer Nummer das kurze schnelle Klicken und Piepen hörte, das einem normalerweise sagt, dass die

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