Das Buch der Illusionen
Zusammenstellung, was eben zufällig vorhanden war. Es spielte keine Rolle. Das Essen war in neun Minuten verputzt, dann gingen wir ins Wohnzimmer zurück und gossen uns wieder die Gläser voll. Von da an unterhielten Alma und ich uns nur noch über die Zukunft, und als wir um zehn ins Bett krochen, machten wir immer noch Pläne, sprachen immer noch darüber, wie wir miteinander leben würden, wenn sie zu mir auf meinen kleinen Hügel in Vermont käme. Wir wussten nicht, wann sie dorthin kommen konnte, nahmen aber an, sie würde nicht länger als ein oder zwei Wochen brauchen, ihre Angelegenheiten auf der Ranch zu regeln, im äußersten Fall vielleicht drei. Bis dahin würden wir telefonisch in Kontakt bleiben, und wann immer es zum Anrufen zu spät oder zu früh wäre, würden wir uns Faxe schicken. Komme was da wolle, sagten wir, wir würden täglich miteinander kommunizieren.
Ich verließ New Mexico, ohne Frieda noch einmal zu sehen. Alma hatte gehofft, sie würde vorbeikommen, um sich von mir zu verabschieden, aber ich rechnete nicht damit. Sie hatte mich bereits von ihrer Liste gestrichen, und bedenkt man die frühe Stunde meiner Abreise (um halb sechs sollte der Wagen mich abholen), schien es unwahrscheinlich, dass sie meinetwegen auch nur auf eine Stunde Schlaf verzichten würde. Als sie nicht auftauchte, schob Alma die Schuld auf die Tablette, die sie ihr vor dem Zubettgehen gegeben hatte. Mir kam das ziemlich schönfärberisch vor. Nach meiner Deutung der Dinge wäre Frieda unter gar keinen Umständen gekommen - nicht einmal, wenn der Wagen mich erst mittags abgeholt hätte.
Damals schien das alles nicht besonders wichtig. Um fünf ging der Wecker, und da mir nur eine halbe Stunde blieb, mich zur Abfahrt bereit zu machen, hätte ich, wenn ihr Name nicht gefallen wäre, an Frieda überhaupt nicht gedacht. Für mich zählte an diesem Morgen nur, mit Alma aufzuwachen, mit ihr auf den Stufen vor dem Haus Kaffee zu trinken, sie noch einmal berühren zu können. Noch ganz benommen und zerzaust, betäubt vor Glück, völlig erschöpft von Sex und Haut und Gedanken an mein neues Leben. Wäre ich wachsamer gewesen, dann hätte ich begriffen, wovor ich hier davonlief, aber ich war zu müde und zu sehr in Eile, als dass mir mehr als die einfachsten Gesten gelungen wären; eine letzte Umarmung, ein letzter Kuss, und schon fuhr der Wagen vor, und ich musste aufbrechen. Wir gingen ins Haus, um meine Tasche zu holen, und als wir wieder ins Freie traten, nahm Alma ein Buch vom Tisch neben der Tür und gab es mir (Schau's dir im Flugzeug an, sagte sie), dann eine allerletzte Umarmung, ein allerletzter Kuss, und schon war ich auf dem Weg zum Flughafen. Erst auf halber Strecke fiel mir ein, dass Alma vergessen hatte, mir mein Xanax mitzugeben.
An jedem anderen Tag hätte ich dem Fahrer gesagt, er solle kehrtmachen und zur Ranch zurückfahren. Auch da hätte ich es fast getan, aber nachdem ich mir ausgemalt hatte, welche Demütigungen mir aus diesem Schritt erwachsen würden - das Flugzeug verpassen, mich als Feigling entlarven, meinen Status als neurotischer Schwächling bestätigen -, gelang es mir, meine Panik zu unterdrücken. Ich hatte ja mit Alma schon einen drogenlosen Flug geschafft. Jetzt galt es herauszufinden, ob ich es auch allein konnte. Soweit eine Ablenkung überhaupt nötig war, erwies sich das Buch, das sie mir mitgegeben hatte, als überaus hilfreich. Es hatte mehr als sechshundert Seiten und leistete mir während des ganzen Flugs gute Gesellschaft. Ein Pflanzenhandbuch mit dem schlichten, nüchternen Titel Unkräuter des Westens, zusammengestellt von einem siebenköpfigen Autorenteam (sechs davon wurden als Spezialisten für Unkrautbekämpfung bezeichnet; der siebte war Direktor eines Herbariums in Wyoming), veröffentlicht, durchaus passend, von der Western Society of Weed Science, in Zusammenarbeit mit den Western United States Land Grant Universities Cooperative Extension Services. Botanik interessierte mich eigentlich nicht so sehr. Ich hätte nicht mehr als ein Dutzend Pflanzen und Bäume benennen können, aber dieses Nachschlagewerk mit seinen neunhundert Farbfotos und seinen exakten, sachlichen Beschreibungen der Lebensräume und Charakteristika von über vierhundert Arten vermochte mich dennoch mehrere Stunden lang zu fesseln. Ich weiß selbst nicht, was mich daran so faszinierte, aber vielleicht war der Grund einfach der, dass ich gerade aus einem von stachligen, immer halb verdursteten Gewächsen
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