Das Buch der Illusionen
hätte, wäre es mir immer noch möglich gewesen, etwas zu unternehmen, bevor es zu spät war. Wir hatten seit meiner Rückkehr nach Vermont viermal miteinander telefoniert, und jedes Mal war dabei Friedas Name erwähnt worden. Aber ich hatte nicht über Frieda sprechen wollen. Dieser Teil der Geschichte war für mich abgeschlossen, ich wollte einzig und allein über die Zukunft reden. Ich erzählte Alma weitschweifig von dem Haus, von dem Zimmer, das ich für sie einrichtete, von den Möbeln, die ich gekauft hatte. Ich hätte ihr Fragen stellen sollen, sie nach Einzelheiten über Friedas Geisteszustand ausquetschen müssen, aber Alma schien mir gern zuzuhören, wenn ich von diesen häuslichen Angelegenheiten redete. Immerhin bereitete sie schon ihren Umzug vor - packte ihre Kleider in Kartons, überlegte, was sie mitnehmen und was sie zurücklassen würde, fragte mich nach den Büchern in meiner Bibliothek, damit sie keine überflüssigen mitschleppen musste -, und das Letzte, was sie erwartete, waren irgendwelche Schwierigkeiten.
Drei Stunden nach meiner Abfahrt zum Flughafen waren Alma und Frieda zu dem Bestattungsinstitut in Albuquerque gefahren, um die Urne abzuholen. Später hatten sie in einer windgeschützten Ecke des Gartens Hectors Asche über die Rosensträucher und Tulpenbeete gestreut. Es war die Stelle, an der Taddy von der Biene gestochen worden war, und Frieda war während der ganzen Zeremonie sehr schwach, konnte sich nur selten für ein, zwei Minuten beherrschen und brach immer wieder in stumme Tränen aus. Als Alma und ich an diesem Abend miteinander telefonierten, erzählte sie mir, nie zuvor habe Frieda auf sie so verletzlich gewirkt, so bedenklich nahe an einem Zusammenbruch. Als sie jedoch am nächsten Morgen zum Haupthaus ging, stellte sie fest, dass Frieda bereits aufgestanden war - sie saß in Hectors Arbeitszimmer auf denn Fußboden und wühlte sich durch Berge von Papieren, Fotos und Zeichnungen, die sie im Kreis um sich ausgebreitet hatte. Die Drehbücher kämen als Nächstes dran, sagte sie zu Alma, und danach werde sie eine systematische Suche nach allen anderen Dokumenten beginnen, die mit der Produktion der Filme zu tun hätten: Storyboards, Kostümskizzen, Kopien von Kulissenentwürfen, Beleuchtungspläne, Hinweise für die Schauspieler. Das alles müsse verbrannt werden, sagte sie, nicht das kleinste bisschen dürfe übrig bleiben.
Demnach waren schon einen Tag nach meiner Abreise von der Ranch die Grenzen der Vernichtung verändert und ausgedehnt worden, um Hectors Letzten Willen mit mehr Spielraum interpretieren zu können. Jetzt ging es nicht mehr nur um die Filme, sondern um alles, was beweisen konnte, dass diese Filme jemals existiert hatten.
An den nächsten beiden Tagen loderten wieder Feuer, aber diesmal machte Alma nicht mit, sie ließ Juan und Conchita dabei helfen und kümmerte sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten. Am dritten Tag wurden Kulissenteile aus den hinteren Räumen des Filmstudios geschleppt und verbrannt. Requisiten wurden verbrannt, Kostüme wurden verbrannt, Hectors Tagebücher wurden verbrannt. Auch das Notizbuch, das ich in Almas Haus gelesen hatte, wurde verbrannt, und noch immer konnten wir nicht ahnen, worauf das alles hinauslaufen sollte. Das Notizbuch war Anfang der dreißiger Jahre entstanden, lange bevor Hector wieder anfing, Filme zu machen. Es hatte lediglich Wert als Informationsquelle für Almas Biographie. Vernichtete man diese Quelle, dann wäre die Geschichte, wenn das Buch schließlich erschiene, nicht mehr nachprüfbar. Das hätten wir sehen müssen, doch als wir an diesem Abend miteinander telefonierten, erwähnte Alma es nur beiläufig. Die große Neuigkeit des Tages hatte mit Hectors Stummfilmen zu tun. Kopien waren natürlich bereits in Umlauf, aber da Frieda sich Sorgen machte, jemand könnte die Filme auf der Ranch entdecken und so dem Zusammenhang zwischen Hector Spelling und Hector Mann auf die Spur kommen, beschloss sie, auch die zu verbrennen. Es sei grässlich, gab Alma ihre Worte wieder, aber wenn es schon getan werden müsse, dann auch gründlich. Solange auch nur ein einziger Teil der Arbeit unerledigt bleibe, seien alle anderen Teile sinnlos.
Wir verabredeten unser nächstes Telefonat für den folgenden Abend, neun Uhr (sieben Uhr ihrer Zeit). Am Nachmittag wollte Alma nach Sorocco - im Supermarkt einkaufen, einige persönliche Dinge regeln -, und wenngleich sie für die Rückfahrt nach Tierra del Sueño anderthalb
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