Das Buch der Lebenskunst
geraten wir unter zunehmenden seelischen Druck und suchen nach Auswegen aus der unangenehmen Lage. Wenn wir die Krise bewältigen, haben wir einen echten Reifungsschritt vollzogen. Aber es gibt auch unangemessene Kompensationen, mit denen sich manche über die Runden retten. „Eine Krise tritt ein, wenn das seelische Gleichgewicht gestört wird, d. h. wenn die stabilisierenden Mechanismen versagen.“ (H.
Hafner) Wer einem in der Krise beistehen möchte, sollte sich fragen, wie die die Krise auslösenden Belastungen reduziert werden können, was dem Betroffenen an Anstrengungen zugemutet werden kann und welche Strategien der Krisenbewältigung ihm zur Verfügung stehen. Der eine kennt spirituelle Wege, um seine Krise zu bearbeiten, der andere sucht sich Hilfen bei einem Arzt oder Therapeuten. Wieder ein anderer greift auf die eigenen Ressourcen zurück, die in ihm liegen. Die Krise ist auf jeden Fall eine Herausforderung an den Einzelnen, der er sich stellen muss. Der deutsche Mystiker Johannes Tauler hat beschrieben, wie viele vor der Krise Angst bekommen und daher vor ihr davonlaufen. Sie stellen sich der inneren Unruhe nicht, die die Krise auslöst, sondern verlagern sie nach außen, indem sie entweder die andern ständig verändern wollen oder indem sie alle drei Jahre einem anderen Guru nachlaufen oder eine andere Methode als Lösung ihrer Probleme propagieren. Oder aber sie verweigern den Schritt, den die Krise verlangt.
Sie versteifen sich auf ihre Prinzipien, werden hart, konservativ. Sie verweigern die Reifung und Verwandlung, zu der sie die Krise herausfordert.
LEBEN IST RISIKO
„Ein Schiff, das im Hafen liegt, ist sicher.
Aber dafür sind Schiffe nicht gebaut.“ (William Shed) Das Bedürfnis nach Sicherheit ist für den Psychologen Abraham Maslow eine Hauptmotivation für das Streben des Menschen. Er sucht einen sicheren Arbeitsplatz. Er möchte sich absichern gegenüber Gefahren. Er spricht mit seiner Versicherung, um gegen möglichst alle Risiken gefeit zu sein. Die Versicherungen verdienen ein Vermögen mit dem Sicherheitsdenken der Leute. Sicherheit gibt Ruhe. Doch wir sprechen im Deutschen auch davon, dass etwas „todsicher“ ist. Darin liegt die Erfahrung, dass übertriebene Sicherheit auch den Tod bringen kann, dass sie das Leben abtötet. Vor lauter Sicherheit kann nichts mehr strömen, wachsen, sich entwickeln. Wenn alles Risiko ausgeschaltet wird, dann kann nichts Neues mehr entstehen. Wenn ich nur noch Sicherheit will, dann muss ich daheim bleiben. Denn der Straßenverkehr ist ein Sicherheitsrisiko. Am Arbeitsplatz kann ein Unfall geschehen.
Aber auch daheim bin ich nicht sicher. Denn auch da kann mich ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt heimsuchen. Es gibt keine absolute Sicherheit. Wie die Schiffe ist auch der Mensch nicht dazu geschaffen, sicher im Hafen zu liegen. Er muss die Weite des Lebens erkunden, das Leben wagen. Sonst wird es stickig. Wer leben will, weiß, wie gefährlich das Leben ist, nicht nur wegen der Gefahren von außen. Wer sich auf eine Beziehung einlässt, ist sich nie sicher, ob sie hält. Wer den eigenen Weg der Selbstwerdung geht, erfährt, auf welch ein gefährliches Abenteuer er sich da eingelassen hat. Er muss durch die Abgründe seiner Seele hindurch, durch Dunkelheit und Verlassenheit, durch Einsamkeit und Bedrängnisse.
Auch die Kirchenväter vergleichen unser Leben mit der Schifffahrt: Wir fahren durch Wellen und Wogen. Wir werden in Stürme geraten. Aber -
so sagt es uns die Bibel - wir sind nicht allein in unserem Boot. Da ist Jesus, der hinten im Boot liegt und schläft. Wir müssen ihn nur aufwecken. Wenn er in uns aufsteht, dann gebietet er dem Sturm und in uns und um uns herum wird es still. (Mk 4,35-41) ETWAS RISKIEREN
Von dem dänischen Philosophen Kierkegaard stammt ein Satz, der alle Liebhaber routinierter Gewohnheiten erschrecken müsste: „Nichts riskieren heißt, seine Seele aufs Spiel setzen.“
Dass der, der nichts riskiert, wenig Neues zustande bringt, ist allen klar.
Doch dass man ohne Risiko seine Seele aufs Spiel setzt, das ist eine erstaunliche Aussage. Die Seele kann nach diesem psychologisch sehr scharfsinnigen und radikalen Satz Kierkegaards nur leben, wenn sie etwas riskiert.
Riskieren meint, etwas beginnen, dessen Ausgang ungewiss ist. Im Deutschen sagen wir dafür: etwas wagen. Wagnis enthält ein ähnliches Bild: Ich lege etwas auf die Waage, ohne zu wissen, wie sie ausschlägt. So ein Risiko gehe ich in jeder
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