Das Buch der Lebenskunst
ernähren, weil wir nicht achtsam genug leben, - daher werden wir krank, daher geraten wir in einen Unfall oder ein Unglück überkommt uns und lässt unseren Erfolg zunichte werden. So lauten die Deutungsmuster.
Es ist heute modern, ähnlich wie die Freunde des Ijob, alles psychologisch zu erklären. Wir schaffen uns unsere Krankheiten, unsere Krisen, unsere Unfälle selber. Doch das ist zu einfach. Es gibt ein Geheimnis, das wir nicht erklären können. Eine Krise kann aus heiterem Himmel über uns kommen, ohne dass wir nach unseren psychischen Voraussetzungen fragen müssen. Die Bibel lädt uns ein, behutsamer über unsere Krisen zu sprechen, sie einfach stehen zu lassen, ohne sie erklären zu wollen. Sie kann viele Ursachen haben. Natürlich gibt es auch selbstverschuldete Krisen. Aber wir würden Menschen verletzen, wenn wir ihnen beweisen möchten, warum sie in die Krise geraten sind. Wir müssen die Krise einfach annehmen, als Herausforderung. Dann kann sie uns wie bei Ijob zu einer neuen Lebensqualität führen. Von Ijob heißt es, dass der Herr seinen Besitz auf das Doppelte vermehrte. Er bekam nochmals sieben Söhne und drei Töchter. „Der Herr segnete die spätere Lebenszeit Ijobs mehr als seine frühere.“ (Ijob 42,12) Der Mystiker Johannes Tauler meint, die Schmerzen der Krise seien nur die Geburtswehen für die Gottesgeburt im Menschen. Es will etwas Neues in uns geboren werden. Wo Gott in uns geboren wird, da kommen wir in Berührung mit unserem wahren Selbst. Da werden wir selbst neu, authentisch, echt und frei.
ALLES IST GESCHENK
Wir können uns nicht einrichten auf dem Erreichten, weder auf dem Erfolg noch auf dem Besitz, noch auf unserer Familie, noch auf unserer Gesundheit.
Alles ist uns geschenkt.
Alles kann uns genommen werden.
Jede Krise fordert uns heraus, unser Festklammern an den äußeren Bedingungen aufzugeben, alles, was wir haben, loszulassen. Wenn wir uns mit unserem Besitz oder unserer Gesundheit identifizieren, geben wir uns selbst auf, wenn wir unseren Besitz oder unsere Gesundheit verlieren. Dann sind wir nichts mehr. Wir müssen uns schon vor der Krise einüben in die innere Freiheit. Dann wird uns die Krise nicht vernichten, sondern uns an den Ort führen, an dem wir wahrhaft daheim sind, an dem wir ganz wir selber sind, an dem uns niemand verletzen kann, an dem uns nichts mehr schaden kann.
Johannes Chrysostomus sagt einmal in einer Predigt: Nichts kann dich verletzen außer du selbst. Wenn du in Gott deinen Grund hast, dann kann kommen, was will. Es wird deinem wahren Selbst nicht schaden. Chrysostomus bringt als Begründung das Gleichnis vom Haus, das auf dem Felsen gebaut wurde. Da können die Stürme an ihm rütteln oder die Wassermassen es überschwemmen - sie können das Haus nicht zu Fall bringen.
WEG ZUR TIEFE
Viele Menschen leiden heute unter Depression. Und viele sehen schon in depressiven Gefühlen eine Krankheit, die sie bekämpfen und möglichst schnell loswerden wollen. Doch damit verbauen sie sich den Weg zu ihrer Tiefe. Wir können es uns nicht aussuchen, ob wir depressiv veranlagt sind oder nicht. Aber wenn ich depressiv bin, dann geht selbst mein Weg zu Gott nicht an meiner Depression vorbei, sondern durch sie hindurch. Die Depression nimmt mir die Illusion meines Ego, dass ich immer guter Laune bin, dass ich alles positiv sehen kann, dass ich mein Leben im Griff habe. Es gibt eine wunde Stelle, eine Achillesferse in mir.
Ich muss sie nicht bedecken und abschirmen. Sie ist gerade das Einfallstor Gottes. Gerade dort kann ich ihn erfahren. Und wenn ich ihn erfahre, wenn ich mit meinen Wunden mit ihm eins werde, dann ist diese Einheitserfahrung zugleich Erfahrung von Heil. Denn Einssein ist ja Ganzsein, Heilsein. Die eigentliche Heilung des Menschen besteht daher für mich in dieser tieferen Erfahrung. Diese Erfahrung können wir nicht erzwin gen. Wir können uns aber dafür bereiten. Aber Gott zeigt sich immer wieder überraschend. Wir sollen nur damit rechnen und dürfen darauf vertrauen, dass er sich gerade uns zeigt, auch wenn wir noch so sehr an uns und unserer Situation leiden. Wenn wir Gott erfahren, sind wir eins. Aber im nächsten Augenblick werden wir wieder seine Ferne erleben. Dann fühlen wir uns wieder zerrissen. In dieser Spannung müssen wir leben: zwischen Gottesnähe und Gottesferne, zwischen Heilsein und Kranksein, zwischen Licht und Dunkel, zwischen Kraft und Ohnmacht, zwischen Liebe und Leere.
AUS DUNKEL INS
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