Das Buch der Schatten 1 - Verwandlung
Imbolc und für Ostara, Beltane, Litha, Lammas und Mabon.
Natürlich war ich mir sicher, dass die Nonnen bei der Anlage ihres Gartens nicht bewusst auf das Wicca-Rad zurückgegriffen hatten. Es hätte sie total entsetzt. Doch so war Wicca, es war alt und durchdrang sanft viele Bereiche des menschlichen Lebens, ohne dass man sich dessen bewusst war.
Als wir den bröckelnden Steinweg hinuntergingen, den viele hundert Jahre lang Füße in Sandalen abgewetzt hatten, geriet Mrs Petrie, die Kräutergärtnerin, förmlich in Verzückung. Ich ging hinter ihr und hörte zu, wie sie vor sich hin murmelte: »Dill, ja, und sieh dir diese robuste Kamille an. Und das hier ist Rainfarn, Gott, ich hasse Rainfarn, er überwuchert alles …«
Während ich ihr folgte, überkam mich – wirklich und wahrhaftig – eine Welle der Magie. Sie hob meine Stimmung und ließ die Sonne auf mein Gesicht scheinen. Die Beete waren, auch in ihrem vernachlässigten Zustand, jedes für sich eine Offenbarung.
Ich kannte die Namen der meisten Pflanzen nicht, aber ich empfing Eindrücke von ihnen. Ein paarmal bückte ich mich und berührte vertrocknete, braune Blütenköpfe, aufgebrochene Samenkapseln, verwelktes Laub. Dabei stiegen vor meinem inneren Auge schattenhafte Bilder auf: Wasserhanf, Mutterkraut,
Augentrost, Mädesüß, Rosmarin und immer wieder Löwenzahn.
Hier vor mir waren die spärlichen herbstlichen Überreste von Pflanzen, die die Kraft besaßen, zu heilen, Magie zu bewirken, Speisen zu würzen oder Räucherwaren, Seifen und Farbstoffe aus ihnen zu gewinnen … Durch meinen Kopf wirbelten all die vielen Möglichkeiten.
Ich kniete mich hin und strich mit den Fingern über eine blasse Aloe, die gegen Verbrennungen und Sonnenbrand half. Meine Mutter benutzte sie sehr oft, ohne sich Sorgen um Hexerei zu machen. Gleich daneben stand ein buschiger Lorbeer, der bereits alt und knorrig war. Ich berührte ihn, und er fühlte sich sauber an, rein und stark. Hier standen Thymiansträucher, eine große, halb verdorrte Katzenminze, Kümmelsamen, winzig und braun auf brüchigen Stängeln. Eine ganz neue Welt, die ich erkunden, in der ich mich verlieren konnte. Zärtlich berührte ich eine knorrige Grüne Minze.
»Minze stirbt nie ab«, sagte Mrs Petrie, die mich beobachtete. »Sie kommt immer wieder. Sie ist sogar ziemlich raumgreifend, deswegen baue ich sie in Töpfen an.«
Ich lächelte und nickte ihr zu, spürte die kühle Luft nicht länger. Ich erkundete jeden Weg, sah leere Stellen, an denen Pflanzen gewesen waren oder die Stängel
noch standen und auf ihre Wiedergeburt im Frühling warteten. Aufmerksam las ich die kleinen Metallschilder, auf denen in femininer, gleichmäßiger Schreibschrift die Pflanzennamen geschrieben standen.
Meine Mutter kam zu mir. »Das ist unglaublich interessant, nicht wahr?« Ich hatte das Gefühl, sie wollte sich wieder mit mir gut stellen.
»Ja, unglaublich«, sagte ich ehrlich. »Ich liebe die vielen Kräuter hier. Glaubst du, Dad würde mir im Garten ein bisschen Platz überlassen, damit wir unsere eigenen Kräuter anbauen können?«
Meine Mutter sah mir in die Augen, braune Augen blickten in braune Augen. »Interessiert es dich so sehr?«, fragte sie und richtete den Blick auf eine widerstandsfähige verholzte Rosmarinstaude.
»Ja«, sagte ich. »Ich find’s unglaublich hübsch hier. Wäre es nicht cool, wenn wir mit selbst gezogener Petersilie und Rosmarin würzen könnten?«
»Ja, das wäre es«, antwortete meine Mutter. »Vielleicht nächstes Frühjahr. Wir reden mit Dad darüber.« Sie wandte sich ab und ging zu Ms Hotchkiss, die über die Geschichte des Klosters sprach.
Als es Zeit wurde, zum Bus zurückzukehren, musste ich mich richtiggehend losreißen. Ich wollte im Kloster bleiben, durch die Flure spazieren, seinen Geruch einatmen und die trockenen Blätter der Pflanzen unter den Fingerspitzen zerbröseln. Die Pflanzen riefen mich
mit der Magie ihrer dünnen, schwachen Lebenskraft, und dort, vor den Toren von Killburn Abbey, wurde es mir klar.
Obwohl meine Eltern dagegen waren, trotz allem, was dagegen sprechen mochte, reichte es mir nicht, so viel wie möglich über Hexen zu erfahren. Ich wollte eine Hexe sein.
16
BLUTHEXE
»Man wird nicht vor die Wahl gestellt, Hexe zu sein. Entweder ist man eine oder nicht. Es liegt im Blut.«
Tim McClellan
alias Feargus der Kluge
Ich könnte heulen vor Frust. Sie kommt nicht zu mir. Ich kann sie nicht drängen. Bitte, Göttin, gib mir ein
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