Das Buch der Schatten 1 - Verwandlung
darfst. Wir leben doch nicht in einem Polizeistaat.«
Bree schnaubte. »Ja. Lass mich dabei sein, wenn du Sean und Mary Grace sagst, sie sollen sich verpissen.«
Ich musste unwillkürlich lächeln.
»Sie sind deine Eltern«, brach Cal plötzlich sein Schweigen. »Natürlich liebst du sie und möchtest ihre Gefühle respektieren. An deiner Stelle würde ich mich auch mies fühlen.«
In diesem Augenblick verliebte ich mich noch mehr in ihn. Auf irgendeiner Ebene hatte ich wohl erwartet, er würde sich den anderen anschließen und meine Eltern als dumm und hysterisch abtun. Schließlich war er der leidenschaftlichste Anhänger von Wicca, und
ich hatte eigentlich erwartet, die Reaktion meiner Eltern würde ihn am meisten verärgern.
Bree sah mich an, und ich betete, dass meine Gefühle mir nicht ins Gesicht geschrieben standen. Im Märchen war es immer so, dass zwei Menschen füreinander bestimmt waren und sich fanden und fortan immerdar glücklich miteinander waren. Für mich war Cal dieser Mensch. Ich konnte mir niemanden vorstellen, der besser zu mir passte. Doch was für ein krankes Märchen wäre das, wenn er für mich der Richtige wäre und ich nicht die Richtige für ihn?
»Eine schwere Entscheidung«, fuhr Cal fort. Wir hörten ihm alle zu, fast als wäre er ein Apostel, der uns lehrte. »Ich habe Glück, denn Wicca ist die Religion meiner Familie.« Er dachte einen Moment darüber nach, eine Hand an der Wange. »Wenn ich meiner Mutter erzählen würde, ich möchte Katholik werden, würde sie total ausflippen. Ich weiß nicht, ob ich das könnte.« Er lächelte mich an.
Robbie und Beth lachten.
»Wie auch immer«, sagte Cal, jetzt wieder ernst. »Jeder muss seinen oder ihren Weg wählen. Du musst entscheiden, was du willst. Ich hoffe, du bist immer noch begierig, Wicca zu erkunden, Morgan. Ich glaube, du besitzt eine Gabe dafür. Aber ich würde es verstehen, wenn du das nicht kannst.«
In dem Moment schwang polternd die Schultür auf,
und Chris Holly kam heraus, gefolgt von Trey Heywood.
»Oh«, höhnte Chris. »’tschuldigung. Wollte euch Hexen nicht stören.«
»Verpiss dich«, sagte Raven gelangweilt.
Chris ignorierte sie. »Sprecht ihr hier Verwünschungen aus? Ist das auf dem Schulhof überhaupt erlaubt?«
»Chris, bitte«, sagte Bree und rieb sich die Schläfe. »Tu das nicht.«
Er drehte sich zu ihr um. »Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe«, sagte er. »Du bist nicht mehr meine Freundin. Richtig?«
»Richtig«, sagte Bree und sah ihn wütend an. »Und das ist einer der Gründe dafür.«
»Ja, also …«, setzte Chris an, wurde aber von der Schulglocke und von Trainer Ambrose, der gerade näherkam, unterbrochen.
»Geht in eure Klassen, Leute«, sagte er automatisch und zog die Tür auf. Chris bedachte Bree mit einem verächtlichen Blick und folgte dem Trainer ins Gebäude.
Ich nahm meinen Rucksack und ging zur Tür, gefolgt von Robbie. Bree blieb noch einen Moment sitzen, und als ich einen kurzen Blick zurückwarf, sah ich, dass sie mit Cal sprach, die Hand auf seinem Arm. Raven beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen.
Benommen fand ich meinen Weg ins Klassenzimmer
– wie eine Kuh, die in den Stall zurückkehrt. Mein Leben kam mir gerade sehr kompliziert vor.
Am Nachmittag steckte ich meine Bücher über Wicca in eine Papiertüte und brachte sie zu Bree. Sie hatte mir versprochen, ich könnte rüberkommen und sie lesen, wann immer ich wollte.
»Ich verwahre sie sicher für dich«, sagte sie.
»Danke.« Ich schob mir die Haare über die Schultern und lehnte den Kopf an ihre Tür. »Vielleicht könnte ich heute Abend nach dem Abendessen vorbeikommen? Die Geschichte der Hexerei habe ich halb durch, und es ist total faszinierend.«
»Klar«, sagte sie mitfühlend. »Armer Schatz.« Sie tätschelte mir die Schulter. »Halt dich einfach eine Weile bedeckt und lass den Sturm vorüberziehen. Du weiß, dass du jederzeit herkommen kannst, wenn du sie lesen willst oder auch nur abhängen. Okay?«
»Okay«, sagte ich und umarmte sie. »Wie läuft’s mit Cal?« Es tat weh zu fragen, doch ich wusste, dass sie darüber reden wollte.
Bree verzog das Gesicht. »Vor zwei Tagen hat er sich fast eine Stunde am Telefon mit mir unterhalten, aber als ich ihn gestern gefragt habe, ob er mit mir raus zu Wiggott’s Farm fahren will, hat er abgelehnt. Wenn er nicht bald nachgibt, muss ich noch anfangen, ihm nachzustellen.«
»Er wird nachgeben. Das tun sie
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