Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
nie mehr Freude, sein Schlaf nie mehr Ruhe. Er ist jung, ohne jung zu sein, wird unzufrieden alt.
Und wozu sich Stimme verleihen? Das wenige, das man sagt, bliebe besser ungesagt.
Könnte ich mich doch nur von der Schönheit des Verzichts überzeugen, wie schmerzlich glücklich wäre ich für alle Zeit!
Denn dir gefällt nicht, was ich mit den Ohren sage, mit denen ich mich das Gesagte sagen höre. Wenn ich mich laut sprechen höre, hören mir die Ohren, mit denen ich mich laut sprechen höre, auf andere Weise zu als das innere Ohr, mit dem ich mich Worte denken höre. Wenn ich mich höre und so falsch verstehe, daß selbst ich mich immer wieder fragen muß, was ich denn sagen wollte, wie erst sollen mich da andere richtig verstehen!
Von welch vielschichtigem Mißverständnis ist doch das Verständnis anderer von uns geprägt!
Die Wonne, sich verstanden zu wissen, bleibt dem versagt, der nicht verstanden sein will, solches widerfährt nur den Vielschichtigen, den Unverstandenen; die anderen aber, die schlichten Gemüter, jene, die alle Welt verstehen kann, verlangt es nie, verstanden zu werden.
329
Hast du, o Andere, je bedacht, wie unsichtbar wir füreinander sind? Hast du je darüber nachgedacht, wie wenig wir einander kennen? Wir sehen uns und sehen uns doch nicht. Wir hören einander, und ein jeder vernimmt nur eine Stimme in seinem Innern.
Die Worte anderer sind Mißverständnisse unseres Hörens, Schiffbrüche unseres Verstehens. Wie sehr vertrauen wir doch unserem Verständnis der Worte anderer. Nach Tod schmeckt uns die Lust, die andere in Worte legen. Lust und Leben lesen wir in dem, was anderen, ohne Absicht auf einen tieferen Sinn, über die Lippen kommt.
Die Stimme der Bäche, die du deutest, du reine Erklärende, die Stimme der Bäume, deren Rauschen wir einen Sinn beimessen – ach, meine unbekannte Liebe, wie sehr ist all dies wir-selbst, Phantasie und Asche, die durch die Gitter unserer Zelle verweht!
330
Weil vielleicht nicht alles falsch ist, Liebste, soll nichts uns heilen von der nahezu ekstatischen Lust zur Lüge.
Äußerstes Raffinement! Höchste Perversion!! Die absurde Lüge hat allen Reiz der Perversion, zugleich mit dem letzten, noch größeren Reiz der Unschuld. Die bewußt unschuldige Perversion – wer […] könnte es noch übertreffen an höchstem Raffinement? Die Perversion, die nicht einmal versucht, uns Lust zu verschaffen, und der es am Ungestüm fehlt, uns Schmerz zu bereiten, die zu Boden stürzt zwischen Lust und Schmerz, unnütz und absurd wie ein wertloses Spielzeug, mit dem sich ein Erwachsener amüsieren will!
Kennst du nicht, Wonnige, das Vergnügen am Kauf überflüssiger Dinge? Kennst du nicht die Freude an Wegen, die wir zerstreut irrtümlich einschlagen? Welches menschliche Tun ist so bunt schillernd wie das Nachahmen – […], das sein eigenes Wesen belügt und seinen eigenen Absichten widerspricht?
Wie erhebend, ein Leben zu vergeuden, das nützlich sein könnte, nie ein Werk zu vollenden, das unweigerlich schön würde, mitten auf dem sicheren Weg zum Sieg kehrtzumachen!
Ach, Liebste, der Glanz verschollener, nie wiedergefundener Werke, der Abhandlungen, die heute nur mehr Titel sind, der verbrannten Bibliotheken, der zerschlagenen Statuen!
Wie gesegnet mit Absurdem sind doch Künstler, die ein prachtvolles Werk verbrannten, oder jene, die – obgleich zu einem vollkommenen Werk fähig – mit Bedacht ein unvollkommenes schufen, oder gar die großen Dichter des Schweigens, die, im Wissen um ihre Fähigkeit zum Meisterwerk, vorzogen, es mit ihrer Entscheidung des Nie-Schreibens zu krönen! (Wenn es denn unvollkommen ist, sei’s drum!)
Wieviel schöner wäre die Mona Lisa, könnten wir sie nicht sehen! Und wenn jemand sie stehlen und verbrennen würde, was für ein Künstler er auch sei, er wäre weit größer als jener, der sie malte! Warum ist Kunst schön? Weil sie ohne Zweck ist. Warum ist Leben häßlich? Weil es ganz Ziel, Zweck und Absicht ist. All seine Wege führen uns von einem Punkt zum andern. Gäbe es doch einen Weg, der an einem Ort beginnt, von dem niemand aufbricht, und zu einem Ort führt, wohin niemand geht!
Die Schönheit der Ruinen? Ihr Zu-nichts-mehr-nütze-Sein.
Der Zauber der Vergangenheit? Unser Sich-an-sie-Erinnern, denn sich an sie erinnern heißt, sie Gegenwart werden lassen, was sie nicht ist noch sein kann – das Absurde, Liebste, das Absurde …
Und ich, der ich all dies sage – warum schreibe ich dieses
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