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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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Lidern und gleichgültigen Gesten. Und so drückte alles, was fühlt oder was wir für fähig halten zu fühlen, seinen eigenen Abschied ans Herz. In einem Hof pfiff ein Windstoß durch unser Bewußtsein von etwas anderem. Wie gerne wäre man jetzt gesundet, um das Leben wahrhaft zu spüren.
    Doch die ersten Winterregen, bereits mitten im Herbst, wuschen diese Halbfarben ungerührt fort. Mächtige Winde heulten an gegen alles, was fest stand, lärmten an allem, was festhing, rissen alles fort, was beweglich war, und schrien in das unkontrollierte Rauschen des Regens Nicht-Worte anonymen Protests, traurige, fast wütende Laute seelenloser Verzweiflung.
    Schließlich endete der Herbst, kalt und grau. Was nun kam, war ein Winterherbst, Schmutz gewordener Staub aller Dinge, doch die winterliche Kälte hatte auch ihr Gutes: der sengende Sommer lag hinter, der Frühling lag vor uns, und der Herbst bekannte sich endlich zum Winter. Und in den luftigen Höhen, wo matte Farben nicht mehr an Hitze noch Traurigkeit erinnerten, war alles der Nacht geneigt und endloser Meditation.
    Und so war alles für mich, noch bevor ich es dachte. Wenn ich dies heute niederschreibe, dann weil ich mich erinnere. Der Herbst, den ich habe, ist der, den ich verlor.

321
    Eine Gelegenheit ist wie Geld, das wiederum auch nur eine Gelegenheit ist. Für einen, der handelt, ist eine Gelegenheit eine Frage des Willens, und der Wille interessiert mich nicht. Für einen wie mich, der nicht handelt, ist die Gelegenheit der Gesang inexistenter Sirenen. Eine Gelegenheit muß wonnevoll verschmäht und außer Reichweite verstaut werden.
    Gelegenheit haben zu … An diesem Ort wird man die Statue des Verzichts aufstellen.
    O weite sonnendurchflutete Felder, der Betrachter, für den allein ihr lebt, betrachtet euch aus dem Schatten heraus.
    Der Alkohol großer Worte und langer Sätze, die wie Wellen mit dem Atem ihres Rhythmus anwachsen und lächelnd auslaufen in der Ironie ihrer Schaumschlangen, im traurigen Glanz ihrer schimmernden Schatten.

322
    Mit jedem noch so einfachen Tun wird ein geistiges Geheimnis verletzt. Jedes Tun ist ein revolutionärer Akt; ein Abgetrenntsein vielleicht von der wirklichen [Natur] [54]   unserer Absichten.

    Handeln ist ein Auswuchs des Denkens, ein Krebsgeschwür der Einbildungskraft. Handeln heißt sich trennen. Alles Handeln ist unvollständig und unvollkommen. Solange ich ein Gedicht nur träume und nicht versuche, es zu Papier zu bringen, ist es vollkommen. So steht es bereits im Mythos Jesu geschrieben; die Menschwerdung Gottes konnte nur im Martyrium enden. Der höchste Träumer hat das höchste Martyrium zum Sohn.

    Die löchrigen Schatten der Blätter, der zaghafte Gesang der Vögel, die langen Arme der Flüsse, ihr kühles Glitzern in der Sonne, das Grün, der Mohn und die Einfachheit der Empfindungen – und während ich all dies empfinde, sehne ich mich danach, als empfände ich es nicht, während ich es empfinde.

    Wie ein Karren in der Abenddämmerung kehren die Stunden knarrend durch die Schatten meiner Gedanken zurück. Wenn ich aufschaue von meinem Denken, brennen mir die Augen vom Schauspiel der Welt.

    Wer einen Traum verwirklichen will, muß ihn vergessen, ihm die Aufmerksamkeit entziehen. Daher heißt verwirklichen nicht verwirklichen. Das Leben ist voller Paradoxe wie die Rosen voller Dornen.

    Ich würde gerne mit der Apotheose einer neuen Unvereinbarkeit die negative Verfassung einer neuen Anarchie der Seelen begründen. Ein digest meiner Träume schien mir stets von Nutzen für die Menschheit, weshalb ich auch nie versucht habe, einen solchen zusammenzustellen. Allein der Gedanke, Gewinnbringendes tun zu können, hat mich betrübt und erschöpft.

    Ich besitze Güter in der Umgebung des Lebens. Ich ziehe mich aus der Stadt meines Handelns zurück zwischen die Bäume und Blumen meiner Träumerei. Nicht ein Echo aus dem Leben meines Tuns dringt vor in mein grünes Refugium. Meine Erinnerung macht mich schläfrig wie eine endlose Prozession. Aus den Kelchen meiner Meditation trinke ich nur das Lächeln goldgelben Weines; ich trinke ihn nur mit geschlossenen Augen, und das Leben zieht vorüber wie ein Schiff in der Ferne.
    Sonnentage schmecken für mich nach dem, was ich nicht habe. Der blaue Himmel, die weißen Wolken, die Bäume, die Flöte, die hier fehlt – Hirtengedichte, unvollständig durch die Unrast der Zweige … All das ist eine stumme Harfe, über die ich leichtfingrig streiche.

    Die hohe

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