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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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unternehmen.

    Die Macher metaphysischer Systeme und […] psychologischer Erklärungen sind noch Neulinge in Sachen Leid, denn was ist systematisieren und erklären, wenn nicht konstruieren und […]? Und was ist all das Ordnen, Klassifizieren, Organisieren, wenn nicht eine unternommene Anstrengung? – und auf welch niederschmetternde Art das Leben!
    Nein, ich bin kein Pessimist. Glücklich all jene, die es verstehen, ihr Leid ins Universelle zu erheben. Ich weiß nicht, ob die Welt traurig ist oder willkürlich, nicht einmal das kümmert mich, anderer Leute Leid ist so lästig wie langweilig. Solange sie nicht jammern und weinen, was ich als unangenehm und ärgerlich empfinde, habe ich nicht einmal ein Achselzucken für ihren Schmerz – so tief ist meine Verachtung für sie.
    Doch ich möchte an das Leben als etwas gleichermaßen Lichtes wie Dunkles glauben. Ich bin kein Pessimist. Ich beklage mich nicht über das Schreckliche des Lebens. Ich beklage mich über das Schreckliche meines Lebens. Die einzig wichtige Tatsache für mich ist die Tatsache, daß ich existiere und leide und mich nicht ganz und gar aus meinem Gefühl zu leiden herausträumen kann. Alle glücklichen Träumer sind Pessimisten. Sie gestalten die Welt nach ihrem Bild und sind auf diese Weise immer zu Hause. Was mich am tiefsten schmerzt, ist die Ungleichheit zwischen der lärmenden Fröhlichkeit der Welt und meiner Traurigkeit, meinem müden Schweigen.
    Das Leben mit all seinen Schmerzen, Ängsten und Erschütterungen muß für den, der es in Begleitung durchlebt (und es wahrnehmen kann), so schön und fröhlich sein wie eine Reise in einer alten Postkutsche.
    Ich kann mein Leiden nicht einmal als ein Zeichen von Größe empfinden. Ich bin mir unsicher. Ich leide an so Unerheblichem, mich verletzt so Belangloses, daß diese Hypothese, sofern ich mich zu ihr erkühne, jeder anderen Hypothese, nämlich der meiner Genialität, hohnspräche.
    Die Pracht eines schönen Sonnenuntergangs macht mich traurig mit ihrer Schönheit. Bei ihrem Anblick sage ich mir immer: Welche Freude muß ein glücklicher Mensch bei diesem Schauspiel empfinden!

    Dieses Buch ist eine einzige Wehklage. Wenn es denn geschrieben ist, wird Allein [63]   nicht mehr das traurigste Buch Portugals sein.

    Neben meinem Schmerz erscheint mir aller andere Schmerz nichtig und fragwürdig. Es ist der Schmerz glücklicher Menschen oder der Schmerz von Menschen, die leben und sich beklagen. Mein Schmerz ist der eines Eingeschlossenen, abgeschnitten vom Leben …
    Zwischen mir und dem Leben …
    Und so sehe ich alles, was ängstigt, aber fühle nichts von all dem, was erfreut. Ich habe festgestellt, daß man den Schmerz mehr sieht als fühlt und die Freude mehr fühlt als sieht. Denn wer nicht denkt und nicht sieht, kann eine gewisse Zufriedenheit erlangen, wie die der Mystiker, der Bohemiens und der Gauner. Doch letztlich kommt der Schmerz durch das Fenster des Beobachtens und die Tür des Denkens in unser aller Haus.

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    Vom Traum und für den Traum leben, das Universum auseinandernehmen und wieder zusammensetzen – gedankenverloren wie in den Augenblicken, in denen wir träumen; und dies in dem bewußten Bewußtsein der Nutzlosigkeit und […] dieses Tuns. Das Leben mit ganzem Körper ignorieren, sich mit allen Sinnen aus der Wirklichkeit verlieren, der Liebe mit ganzer Seele entsagen. Die Krüge, die wir zum Brunnen tragen, mit nutzlosem Sand füllen und leeren, um sie wieder zu füllen und wieder zu leeren, umsonst, umsonster, am umsonstesten.
    Girlanden binden und, sobald sie gebunden sind, lösen, gründlich, ganz und gar.
    Farben nehmen und auf der Palette mischen, ohne eine Leinwand zum Bemalen vor uns. Stein bestellen und, ohne Bildhauer zu sein, mit dem Meißel ohne Meißel behauen. Aus allem eine Absurdität machen und unsere fruchtlosen Stunden zu nichtigen vervollkommnen. Versteck spielen mit unserem Bewußtsein zu leben.
    Hören, wie die Stunden uns sagen, daß wir mit einem erfreuten, ungläubigen Lächeln existieren. Sehen, wie Zeit die Welt malt, und das Gemälde nicht nur für unwahr halten, sondern auch für hohl.
    In widersprüchlichen Sätzen denken und dabei laut von Lauten sprechen, die keine Laute sind, und von Farben, die keine Farben sind. Sagen – und es verstehen, was ohnehin unmöglich ist –, daß wir das Bewußtsein haben, kein Bewußtsein zu haben, und daß wir nicht sind, was wir sind. Dies alles mit einem verborgenen, paradoxen Sinn

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