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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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sich eines Revolvers bedient. Dies zu wissen – und wie genau ich dies weiß! – heißt jenseits der Grenzen der modernen Wissenschaft stehen.

418
    Ich hasse es zu lesen. Allein der Gedanke an unbekannte Seiten verdrießt mich. Ich kann nur lesen, was ich schon kenne. Mein Kopfkissenbuch ist die Rhetorik von Pater Figueiredo. In ihm lese ich allabendlich zum tausendundersten Mal, in einem makellosen, klösterlichen Portugiesisch, die Beschreibung der rhetorischen Figuren, deren Namen, obschon mehr als tausendmal gelesen, ich nicht zu behalten vermag. Doch wiegt mich die Sprache ein […], und ich schliefe unruhig, fehlten mir die mit c [66]   geschriebenen Jesuitenwörter.
    Alles in allem verdanke ich dem Buch Pater Figueiredos, ungeachtet seines übertriebenen Purismus, die relative Sorgfalt, die ich, soweit mir möglich, auf die Sprache verwende, mit der ich mich aufzeichne […]
    Und ich lese:
    (eine Textstelle von Pater Figueiredo)
    »pompös, [leer?] und kalt«
    und bin über das Leben hinweggetröstet.

    Oder aber:
    (eine Texstelle über rhetorische Figuren)
    auch im Vorwort zu finden.

    Ich übertreibe um nicht einen Deut: ich fühle, was ich sage.
    So wie andere in der Bibel lesen können, lese ich in der Rhetorik . Mit dem Vorteil der inneren Ruhe und der mangelnden Gottergebenheit.

419
    Nichtigkeiten, Banalitäten des Lebens, Belanglosigkeiten des Gewöhnlichen und Alltäglichen – Staub, der mit einem blassen, grotesken Strich das Gemeine und Niedere meiner menschlichen Existenz unterstreicht –, das Kassenbuch, das aufgeschlagen vor meinen Augen liegt und dessen Innenleben von allen Orienten träumt; der harmlose Scherz des Prinzipals, der das gesamte Universum beleidigt; die Bitte an Chef Vasques, das Telefon abzunehmen, seine Freundin will ihn sprechen, Fräulein Soundso – und das, während ich gerade in die asexuellste Stelle einer Theorie des Ästhetischen und Geistigen vertieft bin …
    Und dann die Freunde, nette Burschen, wirklich nett, es ist wunderbar, mit ihnen zu reden, zu Mittag zu essen, zu Abend, und doch ist alles so, wie soll ich sagen, schäbig, armselig, klein, ständig im Stoffgeschäft, auch wenn man nicht dort ist, ständig über dem Kassenbuch, auch wenn man dann in der Ferne ist, ständig mit dem Chef zusammen, auch wenn man bereits im Unendlichen ist.
    Alle haben einen Chef, der sich auf unpassende Scherze versteht, und eine Seele außerhalb ihres alltäglichen Universums. Alle haben einen Prinzipal und die Freundin des Prinzipals, und das Telefon klingelt im immer ungeeigneten Augenblick, dann, wenn ein wunderbarer Abend anbricht – und die Freundinnen [sich] höflich entschuldigen [?] oder vielmehr durch andere entschuldigen lassen bei dem Freund, der, wie wir alle wissen, chic Tee trinken gegangen ist.
    Aber alle, die träumen, selbst wenn sie nicht in einem Büro der Unterstadt träumen und auch nicht über den Büchern eines Stoffgeschäfts – alle haben sie ein Kassenbuch vor sich, sei es die Frau, mit der sie verheiratet sind, sei es die Verwaltung einer Zukunft, die sie geerbt haben, oder was auch immer, sofern es tatsächlich existiert.
    Wir alle, die wir träumen und denken, sind Hilfsbuchhalter in einem Stoffgeschäft oder in irgendeinem anderen Geschäft in irgendeiner Unterstadt. Wir führen Buch und erleiden Verluste; wir zählen zusammen und gehen weiter; wir ziehen Bilanz, und der unsichtbare Saldo spricht immer gegen uns.
    Ich schreibe und lächele bei diesen Worten, doch ist es, als bräche mir gleich das Herz, wie Dinge, die zerbrechen, entzweigehen, in Stücke, in Scherben, Abfall, den der Müllmann mit einer einzigen Bewegung von seiner Schulter auf den ewigen Karren aller Stadtverwaltungen leert.

    Und alles wartet, festlich und bereit, auf den König, der kommt, schon naht; der Staub seines Gefolges ist ein neuer Nebel im langsam erwachenden Osten, und schon von fern leuchten die Lanzen in ihrem Morgenrot.

420
    Trauerzug
    Hieratische Gestalten unbekannter Hierarchien harren deiner in Reih und Glied längs der Gänge – Pagen, zart, blond, junge Männer […] im versprengten Aufblitzen nackter Klingen, im flüchtigen Glänzen von Helmen und stolzem Ornat, im dunklen Schimmern matten Goldes und gewirkter Seide.
    Alles, was die Phantasie krank macht, das Funebre, das unser Gepränge umflort und auf unseren Siegen lastet, der Mystizismus des Nichts, die Askese der völligen Verneinung.
    Nicht die sieben Spannen kalter Erde, die sich

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