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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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Niedergang eines unbekannten Reiches …
    Auf den Vorhängen unserer Kammer ist der Morgen ein Lichtschatten. Meine Lippen, die bleich sind, ich weiß es, schmecken füreinander, als wollten sie nicht leben.
    Die Atmosphäre unseres unbeteiligten Zimmers ist schwer wie eine Portiere. Unsere schläfrige Aufmerksamkeit für das alles umgebende Geheimnis ist weich wie die schleifende Schleppe einer Robe während einer Zeremonie im Zwielicht.
    Keine unserer Sehnsüchte hat eine Daseinsberechtigung. Unsere Aufmerksamkeit ist eine Absurdität, uns zugestanden von unserer beschwingten Trägheit.
    Ich weiß nicht, welche schattigen Öle die Vorstellung von unserem Körper salben. Die Müdigkeit, die wir verspüren, ist der Schatten einer Müdigkeit. Sie kommt von weit her, wie die Vorstellung, daß es unser Leben irgendwo gibt …
    Keiner von uns hat einen Namen oder eine glaubhafte Existenz. Könnten wir so laut sein, daß wir uns vorstellen könnten zu lachen, lachten wir gewiß darüber, daß wir uns für lebend halten. Die angewärmte Frische des Bettlakens liebkost (dir wie gewiß auch mir) die Füße, die nackt einander spüren.
    Lösen wir uns vom Leben und seinen Moden, Liebste! Fliehen wir hin zum Selbst-Sein … Laß uns den Zauberring am Finger behalten, der die Feen der Stille herbeiruft, dreht man ihn, die Elfen der Finsternis und die Zwerge des Vergessens.
    Sieh nur, sieh, kaum denken wir daran, von ihm zu sprechen, wird er wieder sichtbar, der Wald, dicht wie eh und je, doch unruhiger durch unsere Unruhe und trauriger durch unsere Traurigkeit. Unsere Vorstellung von der wirklichen Welt flieht seine Gegenwart wie ein sich auflösender Nebel, und ich nehme wieder Besitz von mir in meinem rastlosen Traum, dessen Rahmen dieser geheimnisvolle Wald bildet …
    Die Blumen, die Blumen, die ich dort erlebt habe! Blumen, die unser Blick erkannte und in ihre Namen übersetzte, Blumen, deren Duft die Seele pflückte, nicht aus ihnen, sondern aus der Melodie ihrer Namen … Blumen, deren Namen in Sequenzen wiederholt Orchester klingender Düfte waren … Bäume, deren grüne Sinnlichkeit ihren Namen kühlen Schatten spendete … Früchte, deren Namen wie ein Biß in die Seele ihres Fleisches waren … Schatten, die Relikte glücklicher Gestern waren … Lichtungen, lichte Lichtungen, ein offenes Lächeln der Landschaft, die gleich darauf gähnte … O vielfarbige Stunden! … Blumen-Augenblicke, Baum-Minuten, o Zeit, Stillstand im Raum, Zeit, toter Raum und bedeckt mit Blumen und Blumenduft und duftenden Blumennamen! …
    Träumerische Verrücktheit in befremdlicher Stille! …
    Unser Leben war das ganze Leben … Unsere Liebe war der Duft der Liebe … Wir lebten unmögliche Stunden, angefüllt mit Wir-Sein … Und dies, weil wir wußten, mit jeder Faser unseres Fleisches, daß wir keine Wirklichkeit waren …
    Wir waren entpersönlicht, ohne Selbst, etwas anderes … Jene Landschaft, die sich aufgelöst hatte in ihr Bewußtsein von sich selbst … Und so wie sie zwei Landschaften war – Wirklichkeit und Illusion – waren auch wir undeutlich zwei, keiner recht wissend, ob der Andere nicht er selbst war, ob der ungewisse Andere überhaupt lebte …
    Als wir uns plötzlich vor den stillstehenden Seen wiederfanden, war uns nach Schluchzen … Der Landschaft dort stand das Wasser in den Augen, starren Augen, voll grenzenlosem Überdruß zu sein … Ja, voll Überdruß zu sein, etwas sein zu müssen, Wirklichkeit oder Illusion – und dieser Überdruß hatte seine Heimat und seine Stimme im stummen Exil dieser Seen … Und wir, wir gingen weiter und weiter, nicht wissend noch wollend, und doch schien es, als verweilten wir am Ufer dieser Seen, so viel von uns war zurückgeblieben bei ihnen, bewohnte sie, symbolisch und in sie versunken …
    Und welch erfrischendes, glückliches Erschrecken: Niemand war dort! Nicht einmal wir, die wir dort gingen … Denn wir waren niemand. Wir waren nichts … Hatten kein Leben, nicht einmal für den Tod. Wir waren so durchscheinend, so nichtig, daß der Wind der Zeit uns in unserem Unnützen beließ und die Stunden zärtlich über uns hinwegstrichen wie eine Brise über Palmwipfel.
    Wir gehörten keiner Epoche an, noch verfolgten wir ein Ziel. Alle Zweckbestimmtheit von Dingen und Wesen hatten wir zurückgelassen am Tor zu jenem Paradies der Abwesenheit. Damit wir sie fühlend fühlten, hatte sie angehalten, die gefurchte Seele der Stämme, die weite Seele der

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