Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
schwer, mit ihren goldgeränderten Seiten, die trotz ihres Alters starrsinnig schimmerten. Die Lederecken waren runzlig und angeschlagen, doch der Buchrücken war unversehrt, und zwischen den Seiten hingen leblos drei Lesezeichen aus verblichener Seide herab.
Victoria brachte das Buch zu ihrer Tante und legte es ihr auf den Schoß, damit sie darin lesen konnte.
»Falls du deine Vorsehung erfüllst, Victoria, dann wirst du für uns alle den Sieg erringen.« Eustacia lachte leise. »Dein Name ist wirklich treffend gewählt, Liebes. Vielleicht ist das ein weiteres Omen.«
Sie öffnete den Buchdeckel und deutete auf die Worte, die dort mit Tinte in verschiedenen Schattierungen von Schwarz, Braun und Sepia geschrieben standen. »Dies sind die Namen jener Gardellas, die das Vermächtnis angenommen haben.« Sie folgte den Zeilen mit ihren gekrümmten Fingern. »Die Originalseiten dieser Bibel wurden unserer Familie im Mittelalter übergeben. Vor sechshundert Jahren.« Sie sah auf, der Blick ihrer dunklen Augen war scharf. »Du begreifst, dass es schon Venatoren unter den Gardellas gab, seit Judas Ischariot sich erhängte und vom Teufel zurück auf die Erde gebracht wurde? Doch wir hatten damals nichts, um unsere Geschichte festzuhalten, bis schließlich ein Mönch unserer Familie im zwölften Jahrhundert dieses Buch schrieb. Die Seiten wurden immer wieder neu gebunden,
und wir haben im Laufe der Jahrhunderte weitere hinzugefügt.«
Als ihre Tante die trockenen, braunen Seiten umblätterte, knisterten sie wie ein sanftes Feuer. Victoria erkannte Bilder auf einigen von ihnen, auf anderen wiederum viele Zeilen verblasster Einträge. Zierschrift, Muster und Darstellungen in ausgeblichenen Farben schmückten die ersten Buchstaben jedes einzelnen Buches der Bibel. Sie sah, dass Eustacias und ihr Zweig des Familienstammbaums direkt unter dem des ersten Gardellas endete und in den anderen Linien vereinzelt weitere Venatoren auftauchten.
»Dieses Buch beinhaltet nicht nur das Wort Gottes, sondern auch die Geheimnisse der Gardella-Familie, einschließlich der Gebete und Beschwörungen, die deine vis bulla in Kraft setzen werden. Also, meine Liebe, bist du bereit?«
Obwohl Victorias Herz heftig pochte, nickte sie ohne Zaudern.
»Gut. Dann werde ich jetzt die anderen rufen.« Als sie Victorias überraschten Blick bemerkte, erklärte sie: »Die Macht hinter deiner vis bulla ist keine, die allein durch mich freigesetzt werden kann. Andere, die sich mit diesen Dingen auskennen und - auch wenn sie keine Venatoren sind - über Fähigkeiten und großes Wissen verfügen, warten im Salon. Leg dich auf das Sofa hier, Victoria. Du bist bereits angemessen gekleidet. Ich werde inzwischen die anderen holen.«
Victoria tat, wie ihr geheißen, und machte es sich auf der Chaiselongue bequem, die es ihr erlaubte, ihren Rücken in einem flachen Winkel zu positionieren und die Beine auszustrecken. Sie betrachtete das Trainingskleid, das sie trug. Es saß
locker und war vom Halsansatz bis zu den Knöcheln durchgeknöpft.
Die anschließenden Ereignisse erschienen ihr schnell und unerträglich langsam zugleich. Eustacia bewegte sich durch das Zimmer, das, erhellt nur von Kerzenlicht, plötzlich viel dunkler geworden war. Die anderen Anwesenden blieben in den Schatten stehen, doch Victoria konnte Kritanu und Maximilian ausmachen sowie Briyani, Kritanus Neffen, der ebenfalls am Rande ihres Blickfelds verharrte. Etwas wurde verbrannt, und ein süßer Duft hing in der Luft. Victoria fühlte sich entspannt und erwartungsvoll.
»Wir werden nun anfangen, indem wir uns den Zweck unserer Zusammenkunft ins Gedächtnis rufen«, erklärte Eustacia in einer Sprache, die Victoria erst nach einem kurzen Moment zuordnen konnte. Latein. Die anderen stimmten in ihren Sprechgesang ein, der für eine ganze Weile anhielt. Die Gerüche im Raum wurden intensiver, dann trat Eustacia zu ihr.
Victoria zog unwillkürlich den Bauch ein, als Eustacia ihn mit warmen, arthritischen Fingern berührte. Es folgte Kühle, als erst ein Knopf, dann ein zweiter geöffnet wurde. Dann wurde ihr Kleid auseinandergezogen, und Victoria erspähte die längliche, entblößte Stelle, die ein Stück ihres Bauchs und ihren Nabel zeigte.
»Geschmiedet aus Silber im Land der heiligsten Stätten«, intonierte Eustacia, »wird diese vis bulla dir ungewöhnliche Stärke und Heilungskraft verleihen, Victoria Gardella. Sie wird dir Klarheit und Kraft schenken, wenn du beides am nötigsten brauchst,
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