Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
bewahre! - ihre Tanzkarte vielleicht nicht voll werden könnte.
Oder ob sie während ihres Debüts einen geeigneten Ehemann finden würde.
Aber jetzt... wie sollte sie einen Holzpflock an ihrem Körper verstecken? Sie konnte ihn doch nicht einfach in ihren Handschuh schieben. Geschweige denn in ihr Korsett!
»Kein Grund zur Besorgnis, liebste Melly. Ich vermute, das Mädchen ist wegen seiner Einführung in die Gesellschaft einfach ein wenig abgelenkt; schließlich sind es nicht einmal mehr zwei Wochen.« Lady Petronilla Fenworth lächelte Victoria liebevoll an, als sie ihre dampfende Tasse entgegennahm. Von den drei älteren Damen hatte sie das sanfteste Naturell; eines, das zu ihrem fein geschnittenen, engelsgleichen Gesicht und ihrer zierlichen Figur passte. Sie erinnerte Victoria stets an eine Porzellanpuppe. »Nachdem sie nun eine beinahe zweijährige Trauerzeit hinter sich hat, ist sie sicherlich sehr glücklich darüber, endlich ihr Debüt geben zu dürfen.«
»Das ist sie in der Tat«, stimmte Victorias Mutter, die gefeierte Schönheit des Trios, zu. »Ich rechne mit guten Chancen auf dem Heiratsmarkt; sie mag zwei Jahre älter sein als die meisten anderen Debütantinnen, doch sie ist schön genug, um die Aufmerksamkeit eines Marquis auf sich zu lenken, wenn nicht gar die eines Herzogs!« Sie sah Victoria zärtlich an, welche inzwischen die Teekanne abgesetzt hatte und versuchte, Interesse an der Unterhaltung zu heucheln.
Lady Winifred, die zweite von Melisandes lebenslangen Freundinnen, lehnte sich nach vorn, um mit plumpen Fingern ein Biskuit auszuwählen. Dann blickte sie mit vor Aufregung glänzenden Augen auf. »Meine Schwägerin hat mir erzählt, dass Rockley sich dieses Jahr endlich eine Braut suchen will.«
»Rockley!«, wiederholten die beiden anderen Damen unisono und in einer Tonlage, die beinahe schon an ein Kreischen grenzte - so als wären sie Töchter im heiratsfähigen Alter, und nicht Victoria. Da beide schon annähernd ein Vierteljahrhundert verheiratet waren (zumindest bis Melisande im Jahr zuvor Witwe wurde), war die Reaktion nicht nur ohrenbetäubend, sondern auch völlig unnötig.
»Victoria, hast du gehört, was Winifred gesagt hat?«, rief ihre Mutter und griff nach ihrer Hand. »Der Marquis von Rockley will auf Brautschau gehen! Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass er zu deinem Debüt eingeladen wird. Winnie, wird deine Schwägerin kommen?«
»Darum werde ich mich schon kümmern - und darum, dass sie bei ihrem Ehemann darauf drängt, Rockley mitzubringen. Nichts würde mir mehr Freude bereiten, als zu sehen, wie unsere liebe Victoria das Herz - und die Börse - des unbezähmbaren Marquis von Rockley stiehlt.« Winifred, die schon seit einem Jahrzehnt verwitwet und kinderlos war, hatte Victoria wie ihre eigene Tochter angenommen. Zusammen mit Petronilla und Melisande hatte Victoria damit drei Vollzeitmütter, die sich um ihre Heiratschancen sorgten.
Sie selbst war mehr mit der Frage beschäftigt, ob das kleine Kruzifix, das sie manchmal um den Hals trug, ausreichen würde, um einen blutrünstigen Vampir abzuschrecken.
Tante Eustacia zufolge würde es das, doch da Victoria ihre Feuertaufe erst noch bevorstand, war sie nicht restlos überzeugt. Tatsächlich war das während der letzten Tage ihr alles beherrschender Gedanke gewesen - wann würde sie ihrem ersten Vampir begegnen?
Würde eines Abends einfach einer hinter dem Ofen hervorstürzen? Oder würde sie vorgewarnt werden?
Ein lautes Klopfen an der Salontür lenkte die Aufmerksamkeit der kichernden Damen von ihrem Gespräch über Rockleys Aussehen und sein Einkommen ab. »Ja, Jimmons?«, fragte Lady Melisande, als der Butler in den Raum spähte.
»Ich überbringe eine Einladung von Lady Eustacia Gardella für Miss Victoria. Die Kutsche von Mylady erwartet die junge Dame, falls sie wünscht, ihrer Tante einen Besuch abzustatten.«
Victoria setzte mit einem lauten Klirren ihre Tasse ab. Ein weiteres Training. Und die Gelegenheit, ihrer Tante noch ein paar Fragen zu stellen.
»Mutter«, sagte sie, während sie abrupter aufstand als beabsichtigt. Verflixt . Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war ein Vortrag über die korrekte, anmutige Art und Weise, wie eine junge Dame sich zu bewegen hatte.
Vor allem, nachdem Eustacias Assistent, ein Mann namens Kritanu, die letzten zwei Wochen damit verbracht hatte, ihr beizubringen, wie man sich schnell und präzise bewegte. Wie man jemanden mit einem einzigen, gezielten Tritt
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