Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
er. »Was für ein Narr ich doch war, zu vergessen, dass Sie von allen Frauen am wenigsten Schutz benötigen.«
Das Lächeln, das er ihr daraufhin schenkte, wärmte Victoria von den Wangen bis zu den Fußspitzen, und sie musste den Blick abwenden, da sie befürchtete, zu erröten. Auch wenn es ihr langsam zur zweiten Natur wurde, sich mit untoten Vampiren und bösartigen Dämonen herumzuschlagen, war sie im Umgang mit Männern doch wesentlich weniger selbstsicher.
Sie hatte erst vor eineinhalb Jahren in London ihr Debüt gegeben und anschließend eine zwölfmonatige Trauerzeit für ihren Ehemann Phillip eingehalten, während der sie selbstverständlich Schwarz getragen und in der Zurückgezogenheit seines Hauses gelebt hatte - weit weg von irgendwelchen Vertretern des anderen Geschlechts. Keine Feste, keine Bälle, keine Theatervorstellungen. Einsam und von Trauer erfüllt hatte sie nach einem Weg gesucht, ihre zwei Leben miteinander zu vereinbaren.
Sie war dabei zu dem Schluss gelangt, dass es für sie keine Möglichkeit gab, ein echtes Leben zu führen, mit einer wirklichen Beziehung zu einem Mann. Sie war den Venatoren verpflichtet, und jetzt, als Illa Gardella, umso mehr. Zwar würde sie sich von Zeit zu Zeit in der Gesellschaft blicken lassen, dabei jedoch nie wieder so sehr Teil von ihr werden, wie sie es früher gewesen war. Sie würde nie wieder heiraten, nie ein
Kind bekommen, so sehr ihre Mutter sich das auch wünschen mochte.
Aber als sie nun die Bewunderung und Zärtlichkeit in Zaviers Miene bemerkte, fragte sie sich, ob es tatsächlich so sein musste. Ob sie wirklich allein bleiben und jeden zurückweisen musste, der sich für sie interessierte - oder für den sie sich interessierte. Der letzte Rest ihrer Verärgerung verrauchte.
»Ich hoffe, Sie vergeben mir«, sagte der Schotte gerade, und Victoria stellte fest, dass er irgendwann seine große, warme Hand um ihre geschlossen haben musste. Die, in der sie keinen Pflock hielt. »Es ist nur so, dass ich … dass ein Mann nun mal die Aufgabe hat, eine Frau zu beschützen. Ich habe in dem Moment einfach nicht daran gedacht, dass Sie ja eine Kriegerin sind, und eine erbitterte noch dazu. Es ist schwer, das in Einklang zu bringen mit … nun ja.« Seine Stimme verebbte, und Victoria hätte schwören können, dass er errötete, wäre sein Gesicht nicht schon vor Kälte ein wenig rot gewesen.
»Ich bin nicht verärgert«, beruhigte sie ihn, als er nicht in der Lage zu sein schien, seine Gedanken zu Ende zu bringen. »Aber ich bin froh, dass Sie mich verstehen, Zavier. Wenn ich jemals Hilfe brauchen sollte, wird es offensichtlich sein.«
Er senkte den Blick zu ihren verschlungenen Händen - ihre kleine, weiße in seiner großen -, und als er dann wieder aufsah, spürte Victoria, wie ihr Herz heftig zu pochen begann.
Aber noch bevor er etwas sagen konnte, erregte ein Rascheln neben einem großen Mausoleum ihre Aufmerksamkeit. Zavier drückte zur Warnung ihre Finger, dann ließ er sie los. Leise schlichen sie über eine umzäunte Grasfläche auf das Steingebilde zu. Es war beinahe so groß wie ein kleines Haus, und sein
cremefarbener Stuckmarmor wirkte im fahlen Mondlicht grau und abweisend.
Die prachtvolle Vorderseite des Mausoleums war von einem breiten, ausladenden Gesims überdacht und an den Ecken mit sich kräuselnden Stuckblättern verziert. Der in das Fries eingemeißelte Familienname war von Moos überwuchert und somit von Victorias Position aus nicht zu entziffern. Eine quadratische Kuppel, die möglicherweise eine Glocke beherbergte, erhob sich in der Mitte des Flachdachs. Der Haupteingang, der ein Stück unter der Erde lag und über eine kurze Treppe zu erreichen war, wurde von zwei Säulen flankiert. Die Büsche, die zuvor geraschelt hatten, waren Teil einer großen Gruppe von Pinien und Steineichen, die als dichte Traube so nah an der Gruft wuchsen, dass die ganze Umgebung in tiefe Dunkelheit getaucht wurde.
Victorias Genick war nur so kalt, wie es der kühlen Februarluft entsprach, deshalb war sie sicher, dass außer dem Vampir, den Zavier gepfählt hatte, keine weiteren Untoten in der Nähe waren. Vielleicht lauerte hier überhaupt nichts Bedrohliches, und es war nur ein Igel oder ein Hase gewesen, der durch das Laubwerk gehuscht war.
Doch dann sah sie, während sie näher heranschlichen, etwas Helles im Gebüsch aufleuchten und hörte weiteres Geraschel. Zu Zaviers Ehre musste gesagt werden, dass er weder versuchte, sie aufzuhalten,
Weitere Kostenlose Bücher