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Das Buch der Verdammnis (German Edition)

Das Buch der Verdammnis (German Edition)

Titel: Das Buch der Verdammnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Schuberth
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Pause.
    „Ja, soweit bin ich jetzt. Ich habe gedacht, bevor ich weiter schreibe, stell ich das erst mal zur Diskussion.“
    Er legte den Block aus der Hand, lehnte sich zurück und sah mit einem selbstgefälligen Grinsen in die Runde. Wahrscheinlich erwartete er Applaus, einen Begeisterungssturm. Aber alle blieben stumm. Sie starrten still vor sich hin oder sahen erwartungsvoll zu mir. In Blums Blick glaubte ich die Hoffnung zu erkennen, dass mein unbarmherziges Statement Polonski ein für alle Mal vernichten sollte.
    Ich hatte Schreibseminare immer in zwei Gruppen eingeteilt. In die Kuschelseminare, in denen die Teilnehmer ihr Geschreibsel vortrugen und danach alle erzählten, dass sich bei ihnen tief innen etwas gerührt habe, was nach meiner Einschätzung auf ein beginnendes Magengeschwür hindeutete, was aber von den Teilnehmern immer als Zeichen für die Qualität des Vorgetragenen angesehen wurde.
    Ich war öfters auf diesen Seminaren gewesen und hatte jedes Mal am Ende den dringenden Wunsch verspürt, einen blutrünstigen Splatterfilm anzusehen.
    Und es gab die anderen Seminare, wo die Teilnehmer, angefeuert von einem sadistischen Leiter, übereinander herfielen und jeden Text zerpflückten, bis von ihm nichts mehr übrig blieb als das nackte Buchstabengerüst. Hier lernte man wenigstens, dass Schreiben eine Arbeit wie Holzfällen war und dass nur die Härtesten und Besten dazu bestimmt waren, an den großen Holzfällerwettbewerben teilzunehmen.
    Ich hatte von Anfang an den Holzfällerstil gepflegt und hatte gehofft, damit die wirklichen Begabungen zu fördern. Aber es war jedes Mal anders gewesen. Übrig blieben bei meinen Seminaren die, die völlig unempfindlich für Kritik waren wie Robert Blum. Übrig blieben die, die ein so sonniges Gemüt hatten wie Sybille Kollack.
    Und es blieben die Polonskis übrig, die einfach nur da waren, weil ein Spinner immer dabei sein musste.
    Ich weiß nicht, was es war, dass ich nach Polonskis Ausführungen nichts zu seinem Machwerk sagte. Vielleicht war ich am Ende dieses Kurses einfach nur müde, vielleicht war mir klar, dass alle Kritik an Polonski nur abprallen würde wie ein Gummiball an einer Betonwand oder vielleicht war es die Anwesenheit unseres neuen Teilnehmers.
    Auf jeden Fall sah ich nur in die Runde und fragte:
    „ Was sagen denn die anderen zu dieser Idee?“
    Schweigen. November blickte mich aufmerksam an.
    „Ich habe nur eine Frage“, meldete sich Blum zu Wort. „Wird der Held Ihrer Geschichte mit diesem Wurm Geschlechtsverkehr haben?“
    Polonski nickte. „Ja, ja, natürlich machen sie’s.“
    „ Geschlechtsverkehr mit einem Wurm? Das Ganze ist eine geschmacklose und dumme Idee.“
    Blum lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und sah mich erwartungsvoll an.
    „Möchte denn noch jemand etwas zu dem Stoff sagen?“, fragte ich.
    Blum blickte mich noch immer an, sagte aber nichts mehr. Sybille wirkte unsicher, wie jedes Mal, wenn sie die Harmonie der Gruppe bedroht sah und November hatte die Hände vor sich auf dem Tisch ausgestreckt und starrte ins Leere. Plötzlich richtete er seinen Blick auf mich.
    „Ich finde diese Geschichte durchaus bemerkenswert und ausbaufähig. Und nur fantasielose Geister“ – bei diesen Worten machte er einen kurzen Seitenblick zu Blum – „sehen nicht das geniale Wahnsinnige, das in dieser Geschichte steckt.“
    „ Da haben wir ja einen neuen Experten hier“, meinte Blum spöttisch.
    „ Ich maße mir nicht an, als Experte zu sprechen. Nicht so ein Experte wie unser geschätzter Kursleiter.“
    Warum konnte er diese plumpe Schleimerei nicht lassen?
    „Doch ich denke“, fuhr November fort, „dass ich durch eine schicksalhafte Begegnung Erfahrungen machen durfte, die mein Urteilsvermögen geschärft haben.“
    Seine Stimme wurde lauter, als müsste er vor einem vollen Theatersaal deklamieren.
    „Ein Sturm tobte über ein wüstes Land, als diese Begegnung stattfand, die mein Leben verändern sollte. Diese Begegnung gab mir Macht und eine große Verantwortung. Sie gab mir die Kraft, magische Worte zu schreiben. Sie gab mir die Möglichkeit, eine Geschichte zu erzählen, die die Welt verändern würde.“
    Ich horchte auf. Ich kannte diese Sätze, wo hatte ich sie gelesen?
    Novembers Augen leuchteten. Seine Worte hatten eine eigenartige Energie, der man sich nicht entziehen konnte. Doch da war noch etwas anderes. Unter den Schriftstellern und Möchtegernautoren in meinen Seminaren gab es die schrägsten Vögel.

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