Das Buch der Verdammnis (German Edition)
einen Satz.
Und im Grunde war die Tatsache, dass ich sieben Jahre lang nur diesen ersten Satz auf Papier gebracht hatte, das Eingeständnis meines Scheiterns. Niemand wusste von diesem einen Satz. Warum erzählte ich es jetzt Meike?
„Hat das vielleicht mit dem zu tun, was Baretta über ‚Schneegestöber’ geschrieben hat.“
Baretta. Warum musste Meike jetzt mit dieser Geschichte kommen? Nikolai Baretta war mein Mentor gewesen, mein Freund, mein Lehrer. Und dann hatte er mich verraten. So hatte ich es zumindest empfunden, als ich las, was er über ‚Schneegestöber’ geschrieben hatte.
„Mit Baretta hat das ganz sicher nichts zu tun“, sagte ich.
„ Dann war einfach noch nicht die Zeit. Du wirst sehen, irgendwann kommt der Tag, da passiert es, da schreibst du und schreibst und hörst nicht mehr auf.“
Ich sah sie nachdenklich an. Es war rührend, wie sie sich Mühe gab, mir Mut zu machen. Aber mir war, als würde mir erst richtig bewusst, dass ich schon aufgegeben hatte. Ich glaubte nicht mehr an einen zweiten Roman.
„Außerdem hast du in den letzten Jahren so viele Hank-Lester-Geschichten geschrieben. Darauf kannst du stolz sein.“
Meike hatte recht. Natürlich gab es viele, die die Nase über diese Art von Literatur rümpften. Aber es gehörte schon etwas dazu, 300 handwerklich gut gemachte Horrorgeschichten zu schreiben und sich so lange mit einer Reihe auf dem Markt zu behaupten.
„In deinem Kurs weiß niemand, dass du der Autor der Hank-Lester-Reihe bist?“
„ Niemand“, sagte ich. „Du weißt ja, wie manche Leute auf solche Hefte reagieren.“
Sie nickte. „Bei mir stört das keinen. Aber ich hab ja auch nicht so was wie „Schneegestöber im August“ geschrieben.“
‚Schneegestöber im August’. Manchmal wünschte ich mir, es hätte diesen Roman nicht gegeben. Dann wäre es vielleicht ganz einfach, meinen ersten Satz in meinem neuen Buch weiterzuspinnen.
Ich sah auf die Uhr.
„Ich muss gehen. Mein Kurs wartet sicher schon. Danke für Kuchen und Kaffee.“
Ich wollte zur Tür gehen, aber sie hielt mich zurück.
„Ich habe bald wieder eine Lesung, im Oktober. Ich wollte dich dazu einladen.“
Meike hatte erst kürzlich ein neues Buch veröffentlicht. Sie hatte mich in den letzten Jahren schon vier Mal zu ihren Lesungen eingeladen. Jedes Mal hatte ich mir eine Ausrede ausgedacht, um nicht dort zu erscheinen. Ich hasste Lesungen von Kollegen. Vielleicht, weil sie mich immer wieder daran erinnerten, wie lange es her war, dass ich meinen Roman auf Lesungen vorgestellt hatte.
„Und komm mir nicht wieder damit, dass du Durchfall hast oder Probleme mit deinen Hämorrhoiden. Das lass ich nicht gelten.“
„ Ich werde sehen, ob ich Zeit habe.“
„ Ich ruf dich vorher noch mal an und sag dir den genauen Termin.“
„ Klar, ich werd wirklich schauen, dass ich kommen kann.“
Nach der Pause verlief der Kurs so wie viele vor ihm. Wir sprachen über Polonskis Wurmgeschichte und am Schluss machte ich noch ein paar Übungen. November sagte kein Wort mehr. Manchmal war sein lauernder Blick direkt auf mich gerichtet und für einen Moment lief ein Frösteln über meine Haut, als wolle mich mein Körper vor einer Gefahr warnen, die tief im Innern eines Vulkans schlief.
Doch dieser Augenblick ging vorüber und was November vor der Pause erzählt hatte, hatte ich schon wieder vergessen, als ich nach Hause kam.
Aber an diesem Abend schaltete ich vor dem Schlafengehen noch einmal den Computer an und rief die Datei auf, die den einzigen Satz meines neuen Romans enthielt. Ich las ihn wieder und wieder wie ein Mantra, und war doch mehr und mehr davon überzeugt, dass es keinen zweiten Satz geben konnte.
Lieber Peter von Hellsinki,
vor fünf Jahren schrieb ich dir das erste Mal einen Leserbrief. Damals wollte ich meiner Begeisterung für die Heftromane der Hank-Lester-Reihe Ausdruck verleihen. Heute möchte ich dir gratulieren. Zum 300. Heft der Hank-Lester-Reihe.
Seit über fünf Jahren bin ich nun ein treuer Leser der Horrorhefte um den Dämonenjäger Hank Lester. Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Hank-Lester-Heft. Statt des Buches „Kritik der praktischen Vernunft“ von Immanuel Kant griff ich aus einem spontanen Entschluss heraus zu dem Heft „Krieg der Satansweiber“, das auf dem Verkaufstresen meines Buchladens lag.
Bis heute habe ich diese Entscheidung nicht bereut. Hank Lester wurde für mich zu einem Idol, ja mehr als das, zu einem Freund, dessen
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