Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
wollte er das Kopialbuch haben? Er wollte … etwas ändern? Das konnte er doch nicht wagen! Die Kopialbücher waren sauber zu führen, man durfte keine Veränderungen vornehmen. Allein der Registrator, so wusste Philipp von Heberer, durfte, wenn er Mängel entdeckte, Berichtigungen einfügen.
Nicht so viel nachdenken, Philipp Eichhorn, gemahnte er sich. Je weniger du weißt, desto besser. Bring ihm das Buch, es geht um das Leben deines Weibes! Tue, was er verlangt, und du wirst Hedwig und Juli wiedersehen.
Entschlossen packte er Buch und Laterne und wandte sich der Tür zu. Er betrat die Schreibstube der Registratur – und zuckte jäh zusammen. Stimmen im Flur.
Rasch schloss er die Tür zum Gewölbe, blickte sich hastig um, legte das Kopialbuch zuoberst in die Kiste mit den Oberpfälzer Briefen auf Heberers Schreibtisch.
Dann löschte er die Kerze in der Laterne, duckte sich neben einen Schrank. Keine Sekunde zu spät.
Die Tür zur Stube ging auf.
„Dieser dreckige Hurensohn!“
Nickel!
„Dem werd ich morgen was flüstern!“, polterte der obere Kanzleiknecht.
„Was willst du hier?“, lallte Michel Ley. „Ist doch nichts!“
„Dieser Hurensohn! Ich sag, der soll sich abmelden, und er tut’s nicht!“
„Weiß ich!“, brummte Ley.
„Also frag nicht, was ich hier will, Schafsarsch! Nachschauen muss ich! Ob alles seine Ordnung hat.“ Ein Grunzen. Licht huschte näher. Philipps Herz raste, er atmete flach.
„Lass mir doch nichts anhängen von dem!“
Ihm wurde heiß vor Anspannung. Wonach sah es wohl aus, sollten sie ihn hier entdecken, im Dunkeln, neben einen Schrank gekauert?
„’s riecht nach …“
„Maul!“
„Mein ja nur, es kann noch nicht lang her sein, dass er weg ist. Riecht nach eben gelöschter Kerze.“
„Heberer war noch hier, als ich hochging. Wird grad gegangen sein.“
Das Laternenlicht huschte gen Tür. „Wette, der hat den Rundgang nicht gemacht. Ich schwör dir, dem hau ich morgen die Fresse blau.“
Die Tür schloss sich. Dunkelheit flutete die Schreibstube.
Philipp atmete gepresst aus. Widersprüchliche Gedanken wirrten durch seinen Kopf. Alles verwirkt. Hätte er nicht soeben die Möglichkeit gehabt, sich Nickels und Michels Hilfe zu sichern? Er hatte es nicht getan. Er raufte sich einmal mehr das Haar. Nein, sinnlos, Nickel hätte zu Recht etwas Unlauteres vermutet, hätte er ihn hier ertappt. Und die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, seine Wut gegen ihn auszuspielen.
Nein, er konnte nichts anderes tun als das, was der Entführer von ihm verlangte, solange er nicht wusste, wo Hedwig war.
Er trat aus der Kanzlei, schickte vorsichtig Blicke die Gasse hinauf und hinunter, ehe er abschloss.
Nichts. Niemand.
Das Buch trug er unterm Mantel, hielt es im Arm, dicht an den Körper gepresst.
Er stieg die Stufen hinunter. Noch immer schneite es, wenn auch nicht mehr so heftig wie am frühen Abend. Dort, wo Hans zuvor gefegt hatte, lag eine neue weiße Decke aus Schnee auf dem Pflaster.
Hedwig. Juli. Wo waren sie?
Eine Gestalt eilte um die Ecke von der Kanzleigasse her, geradewegs auf ihn zu, hob den Arm.
„Philipp!“
Kilian!
Den konnte er nun gar nicht gebrauchen. Aber da war sein Freund schon heran. Etwas außer Atem vom raschen Gehen, Atemwölkchen in die Luft stoßend und einen Geruch nach Pferd verbreitend. „Dachte mir, dass du noch in der Kanzlei bist. Wurde also spät, was?“
Kilian schob die Kapuze aus der Stirn und sah ihn an.
Philipp spähte rasch umher. Wo war der Fremde? Lauerte er in der Nähe und beobachtete, wie er mit Kilian sprach? Die Obere Kalte Talgasse lag verlassen.
„Was ist?“, fragte Kilian, hielt die gewölbten Hände vors Gesicht und blies warmen Atem hinein.
„Nichts.“ Sein Herz raste. Gäbe es eine Möglichkeit …?
„Ich war bei euch. Hedwig ist nicht da“, sagte Kilian, ließ die Arme sinken und trat auf der Stelle.
Und dann sah Philipp ein verstohlenes Lächeln in Kilians Gesicht aufflammen, und mit einem Schlag wurde ihm so elend, dass er am liebsten um sich geschlagen hätte.
„Sie ist wohl schon vorgegangen, was? Hat sie …?“
Kilian ließ seine Frage unausgesprochen, schaute verlegen zu Boden und scharrte mit dem Fuß im Schnee. Dann blickte er Philipp wieder an. In seinem Gesicht lag eine so offensichtliche Vorfreude, dass Philipp augenblicklich wusste, sein Freund hoffte, Hedwig habe Appel tatsächlich zum Mitkommen bewogen. Er ballte die Hand zur Faust, schluckte. Dachte daran, dass Hedwig nicht
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